Das Ende - Alten, S: Ende
Zeigefinger am Abzug des M16. Im Fadenkreuz der Waffe erscheint eine Schiitin, die eine traditionelle schwarze Burka trägt. Sie weint und stammelt unzusammenhängend vor sich hin, während sie die zerfetzte Leiche ihres toten Sohnes in den Armen hält und sich sein Blut in ihr rußgeschwärztes Gesicht streicht.
Er geht weiter. Seine Anwesenheit nutzt der trauernden Mutter ebenso wenig wie sein Englisch.
Paranoia treibt seinen Körper voran, der eine viel zu schwere Ausrüstung mit sich herumschleppt. Permanenter Schlafmangel verwirrt sein Denken. In der Ferne hört er die Schreie einer anderen Frau, doch sie hören sich anders an. Offensichtlich gelten sie Dingen, die sich eben erst in diesem Augenblick ereignen.
Er entfernt sich von seinen Männern und betritt das verkohlte Polizeihauptquartier, wobei er die Befehle ignoriert, die durch seinen Ohrhörer kommen. Das von zahllosen Granatsplittern getroffene Gebäude war eines der Angriffsziele der sunnitischen Aufständischen. Mit dem Sturmgewehr im Anschlag klettert er durch den Schutt im Inneren des Gebäudes und nähert sich vorsichtig dem Hinterzimmer.
Drei Männer sind dort – und das Mädchen. Sie ist dreizehn, vierzehn Jahre alt. Ihr Hemd ist aufgerissen und blutverschmiert, ihr Unterkörper nackt. Sie liegt ausgestreckt mit dem Bauch auf einem Schreibtisch.
Die Sadisten sind Mitglieder der sogenannten irakischen Sicherheitskräfte, einer wahllos zusammengewürfelten Truppe, der schon lange vorgeworfen wird, sektiererische Todesschwadronen zu schützen. Einer der Männer dringt von hinten in das Mädchen ein, seine Hose hängt ihm um die Knöchel, seine Hände krallen sich in ihr onyxfarbenes Haar. Wie brünstige Tiere warten seine zwei schwer bewaffneten Begleiter darauf, dass sie selbst an die Reihe kommen.
Dunkle Augen und Gewehrläufe richten sich auf ihn, als er diesen Ort der Entwürdigung betritt.
Es vergeht ein Moment voller Anspannung. Ermutigt durch die Tatsache, dass sie das gleiche Geschlecht teilen, grinsen die Männer den Amerikaner nervös an. »Willst du diese sunnitische Hündin ausprobieren, ja?«
Die Stimme in Sheps Ohrhörer drängt darauf, dass er sich zurückzieht. »Das ist nicht unser Kampf, Sergeant. Verlassen Sie das Grundstück. Sofort!«
Sein Gewissen – es ist bereits vielfältig befleckt, doch es funktioniert noch – fordert das Gegenteil. Sein Verstand versucht, seine Zunge zum Sprechen zu bewegen.
Das Mädchen ruft ihm etwas zu. Ihr Farsi muss nicht übersetzt werden.
Sheps Puls hämmert in seinen Ohren. Die Ungerechtigkeit verlangt, dass er handelt, aber er weiß, dass seine nächste Bewegung eine Kettenreaktion auslösen könnte, die möglicherweise seinem Leben und dem Leben des Mädchens ein Ende bereiten würde.
Seine rechte Hand zuckt über dem Magazin des M16, sein Zeigefinger umschließt den Abzug. Die dunklen Augen, die ihn fixieren, werden nervös.
»Sergeant Shepherd, melden Sie sich unverzüglich.«
Gott, warum bin ich hier?
»Shepherd, sofort!«
Er zögert. Dann verlässt er rückwärts gehend das Gebäude …
… und der Tag wurde wieder zur Nacht. Der eiskalte Dezemberwind ließ seinen schweißüberströmten Körper erschauern.
»Sergeant?«
Er wandte sich Virgil zu, die Augen glasig vor Tränen. »Ich habe nicht gehandelt. Ich hätte sie alle umbringen sollen.«
»Umbringen? Wen? Wen hättest du umbringen sollen? «
»Die drei Soldaten. In Baladruz. Sie haben ein junges Mädchen vergewaltigt. Ich bin einfach nur danebengestanden und habe es zugelassen.«
Virgil schwieg. Er schien seine Antwort abzuwägen. »Diese Männer … Haben sie den Tod verdient?«
»Ja. Nein. Ich weiß es nicht. Es ist kompliziert. Es war in einem schiitischen Dorf. Überall lagen Leichen. Die Aufständischen waren Sunniten, das Mädchen ebenfalls. Es muss Regeln geben. Aber es gab keine Regeln, auf keiner Seite. An einem Tag kämpft man gegen einen Sunniten, einen Tag später kämpft man gegen einen Schiiten – während Unschuldige sterben, die … wie Schafe zur Schlachtbank geführt werden. Sie sehen dich an, als ob es deine Schuld ist, also versuchst du, nicht daran zu denken, doch tief im Innern weißt du, dass auch du dabei eine Rolle spielst … dass du vielleicht die Ursache dafür bist. Eine Million Tote, seit diese ganze Sache anfing. Warum bin ich hier? Sie haben uns nicht angegriffen. Sie waren keine Bedrohung. Natürlich war Saddam bösartiger Abschaum, aber waren wir so viel besser? Töten ist
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