Das Ende - Alten, S: Ende
den verdammten Impfstoff.«
»Noch nicht.« Paolo drehte sich um, und das Licht der Laterne funkelte in Patricks Augen. »Ich glaube, Virgil hat recht. In Zeiten wie diesen müssen wir uns den Glauben bewahren.«
»Weißt du, was Glaube ist, Paolo? Glaube ist nicht mehr als eine Vermutung ohne Beweis, eine Zeitverschwendung. Der Impfstoff ist real.«
»Der Glaube ist genauso real«, erwiderte Virgil. »Oder vielleicht verschwenden wir ja unsere Zeit, wenn wir versuchen, deine Frau und deine Tochter zu finden.«
Eine plötzliche Übelkeit erregende Beklemmung ließ Sheps Blutdruck abrupt nach unten sacken. »Das ist nicht dasselbe. Du hast gesagt, dass du mit meiner Frau gesprochen hast.«
»Ja, aber das war, bevor so viele Menschen krank wurden. Nach allem, was wir wissen, kann sie bereits tot sein. Vielleicht sollten wir direkt zu diesem Boot gehen.«
»Bea ist nicht tot.«
»Und woher willst du das wissen?«
Nur mit größter Mühe gelang es Patrick, ruhig zu bleiben. »Sprich dein verdammtes Gebet, Paolo.«
»Oh Herr, Du hast uns um Deinetwillen geschaffen, und unsere Herzen sind voller Unrast, solange sie nicht in Dir zur Ruhe gekommen sind …«
Es war, als liefe Eiswasser sein Rückgrat hinab. Shep drehte sich langsam um und fixierte den Wartungsschacht. Aus der Dunkelheit heraus sah ihn der düstere Schnitter an – die Arme erhoben, die Sense wie mitten in der Bewegung erstarrt. Der Schädel unter der Kapuze und die leeren Augenhöhlen waren auf Paolo gerichtet. Die Worte des frommen Beters versetzten das übernatürliche Wesen eindeutig in Unruhe.
»Schenke uns die Gnade, mit unserem ganzen Herzen nach Dir zu verlangen, damit wir Dich suchen und finden mögen in diesem Verlangen nach Dir, und indem wir Dich finden, Dich lieben werden, um alle Dinge gerecht mit unserem Nächsten zu teilen …«
Der Sensenmann stieß einen lautlosen Schrei aus und verschmolz mit den Schatten des unterirdischen Schachts.
»Durch Jesus Christus sprechen wir dieses Gebet. Amen.«
Shep wischte sich kalte Schweißtropfen von der Stirn, und seine rechte Hand zitterte. »Amen.«
Chinatown, Manhattan, New York
2:47 Uhr
Jemand riss Gavi Kantor an den Haaren aus ihrem Albtraum und zerrte sie aus der Benommenheit ihres Drogenschlafs auf die Beine. Indem er ihr Haar wie eine Leine benutzte, zog ein magerer Mann, der viel zu viel Aftershave benutzte, das Mädchen durch ein labyrinthisches Kellergewölbe, das von Kerzen erhellt wurde. Er führte sie an türlosen Badezimmern vorbei in einen Flur, an dem sich rechts und links Kabinen befanden, die nur mit Vorhängen abgetrennt waren. Die säuerliche Luft stank wie alte Zwiebeln, und das Grunzen, das aus den Kabinen drang, klang eher animalisch als menschlich. In ihrem Delirium erhaschte Gavi flüchtige Blicke auf männliche Raubtiere in Menschengestalt, die nackte Mädchen zu Handlungen zwangen, die sie aufschreien ließen.
Der Mann, den sie nur als Silhouette sah, schlug ihr gegen den Hinterkopf. Die Wucht des Schlags schleuderte sie auf die Knie.
»Das reicht!«
Die mexikanische Puffmutter brachte mit ihrer rundlichen Massigkeit mindestens dreißig Kilo mehr auf die Waage als der Silhouettenmann. »Gib sie mir. Sie gehört mir. Komm her, chuleta. Hat Ali Chino dir wehgetan?«
Guter Bulle – böser Bulle. Die Dreizehnjährige kroch in die Umarmung der Frau, während sie sich die Augen ausweinte. Die Madame blinzelte ihrem Helfer zu.
Menschenhandel war etwas anderes als Prostitution. Menschenhandel war ein globales, mehrere Milliarden Dollar schweres Geschäft, bei dem Kinder und junge Erwachsene entführt und als Sexsklaven verkauft wurden. Es war so einträglich, dass die Profite, die dabei erzielt wurden, die dritthöchsten aus allen kriminellen Unternehmungen auf der ganzen Welt darstellten. Kontrolliert wurden die Geschäfte von Organisationen, die an der Spitze hauptsächlich aus Russen, Albanern und Ukrainern bestanden. Die Frauen wurden vor allem nach Westeuropa und in den Nahen Osten verkauft.
Auch Amerika war einer der großen Abnehmer menschlicher Ware. Dreißigtausend ausländische Frauen und Kinder wurden jedes Jahr in die Vereinigten Staaten geschleust. Sie wurden über die mexikanische Grenze geschmuggelt und an Menschenhändlerringe in Amerika weiterverkauft, die sie in Häusern und Wohnungen verschwinden ließen. Einige dieser Verstecke lagen in großen Städten wie New York, Chicago und Los Angeles, andere befanden sich in kleinen
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