Das Ende - Alten, S: Ende
interessierte, das war ein besser bezahlter Job. Vielleicht war das der Grund, warum er sich mit einigem Geschick in das Leben von Mary Klipot gedrängt hatte. Hätte er sie in einem Lokal oder bei einem geselligen Beisammensein kennengelernt, wäre sie nie über Small Talk hinausgekommen, aber in Fort Detrick hatte die Mikrobiologin ein intellektuelles Flair, das sie pseudoattraktiv machte. Andrew nannte es den »Tony-Soprano-Effekt«. Im wirklichen Leben konnte ein fetter Mann mittleren Alters mit schütterem Haar wie die HBO-Figur niemals die Art Muschi kriegen, die er in der Serie bekam, aber die Tatsache, dass er ein Mafiaboss war, verschaffte ihm ein gewisses Flair, das schöne, obgleich problematische Frauen anzog.
Mary Klipots Intellekt und Berufsbezeichnung verschafften ihr die gleiche Anziehungskraft. Die Tatsache, dass sie eine Einzelgängerin war und ein BSL-4-Labor leitete, machte es nur umso verlockender, sie kennenzulernen.
Der erste Tag, als er sich beim Mittagessen vorgestellt hatte, war mehr als peinlich gewesen.
Bei der zweiten Begegnung in der Mittagspause hatte sie ihn stehen lassen.
In den darauf folgenden zwei Wochen hatte sie ihn gemieden, indem sie in ihrem Labor zu Mittag aß. Andrew, der mit allen Wassern gewaschen war, erfuhr, dass Mary jeden zweiten Vormittag in dem Fitnessstudio auf dem Gelände trainierte. Ganz den Unbeteiligten mimend, kreuzte er immer mal wieder auf, um Gewichte zu stemmen, ohne sich bis zum dritten Training auch nur einmal anmerken zu lassen, dass er sie überhaupt sah. Ein paar Hallos führten zu oberflächlicher Konversation, was ausreichte, um der introvertierten Rothaarigen die Befangenheit zu nehmen.
Sein Eifer zahlte sich einen Monat später aus, als Mary ihn als Labortechniker für Projekt Scythe auswählte.
Andrew trat aus dem Hotelfahrstuhl und folgte der Ausschilderung zu Zimmer 310. Er klopfte zweimal, dann einmal, dann noch zweimal.
Die Tür schwang auf, und Ernest Lozano winkte ihn herein. Er deutete auf das Bett, während er den Schreibtischstuhl für sich reservierte. »Also, wie laufen die Dinge im Labor?«
»Wir kommen gut voran.«
»Ich hab Sie nicht wegen eines Wetterberichts herbestellt. Wann wird der Wirkstoff waffenfähig sein?«
»Sie sagten Frühjahr. Es läuft alles nach Plan. März oder April, ganz bestimmt.«
Andrew sah das Stilett erst, als die Spitze Zentimeter von seinem rechten Auge entfernt war. Der kräftige Oberkörper des schlaksigen Agenten beugte sich über ihn und drückte ihn zurück auf die Matratze. Sein Gesicht war so nahe, dass der Labortechniker einen Hauch
Alfredo-Sauce, vermischt mit Aqua-Velva-Aftershave, riechen konnte. »Wir haben Ihnen fünfzigtausend gezahlt. Für fünfzig Riesen will ich Zusicherungen, keine Einschätzungen.«
Andrew rang sich ein nervöses Grinsen ab. »Sachte, großer Meister. Wir sind auf Kurs, waren wir zumindest, bis Mary herausfand, dass sie schwanger ist. Irgendwie ist alles kompliziert geworden, aber wir kriegen es hin, das schwöre ich.«
Lozano trat von dem Bett zurück. »Ist es Ihres?«
Andrew richtete sich auf und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. »Genau da wird es kompliziert. Mary ist ein streng katholisches Mädchen. Letzten April fuhren wir zusammen nach Kanada und hatten irgendwie einen Kleinen sitzen, nachdem wir uns ein paar Gläschen Tequila genehmigt hatten.«
»Und Sie haben sie flachgelegt.«
»Ja, aber sie kann sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, und alles in allem dachte ich mir, dass es das Beste wäre, wenn ich es dabei beließe. Aber jetzt, wo sie schwanger ist …«
»Haben Sie’s ihr erzählt?«
»Ich hab’s versucht. Sie ist davon überzeugt, dass es eine unbefleckte Empfängnis war. Sie müssen verstehen, womit ich es hier zu tun habe. Wenn es um biologische Kriegsführung und genetisch veränderte Bakterien geht, ist Mary Klipot genialer, als die Polizei erlaubt. Aber in Sachen Sex, emotionale Bindung und normaler Beziehungskram ist sie wie geistig zurückgeblieben. Ich meine, im Kopf von dieser Tussi spukt irgendein echt finsterer Mist herum … unheimlicher Mist. Und zum Teufel, ja, wenn sie glauben will, dass sie das Kind von Jesus erwartet – wer bin ich, ihr was anderes zu erzählen? Solange
Sie mich weiter bezahlen, werde ich für die Mutter Maria den Joseph spielen, aber in dem Moment, wo Scythe einsatzbereit ist, bin ich hier weg.«
Lozano durchquerte das Zimmer und kehrte zu dem Schreibtischstuhl zurück.
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