Das Ende - Alten, S: Ende
allerdings nur, soweit sie die Genese des Bösen betraf.
Manisha Patel atmete ein und aus und wartete auf das Erscheinen ihrer spirituellen Führerin.
Die Totenbeschwörung war eine Kunst, die darauf angewiesen war, Beziehungen zu den Verstorbenen herzustellen. Einen Geist konnte man weder herbeizaubern
noch ihm befehlen – er musste bereitwilliger Teilnehmer an dem Akt sein. Nachdem sie im Anschluss an die Geburt ihrer Tochter (ein Jahr nach den Angriffen vom 11. September) mit ihrer Familie nach New York gezogen war, hatte sich Manisha von der plötzlichen Flut überirdischer Kontaktpersonen, die Verbindung aufnehmen wollten, überwältigt gefühlt. Im Laufe der Zeit hatte sich zwischen der Totenbeschwörerin und einem dieser ruhelosen Geister eine besondere Beziehung entwickelt – es handelte sich dabei um eine Frau, die an Bord eines der gekidnappten Flugzeuge gewesen war, die in die Twin Towers eingeschlagen waren. Bis zu diesem Morgen hatte die gesamte Kommunikation zwischen Manisha und dieser spirituellen Gefährtin in den Dämmerstunden stattgefunden.
Nicht heute. Während der letzten zwei Stunden hatte Manisha Patels Kristall vibriert wie eine Stimmgabel.
Sie hatte gewartet, bis Pankaj zusammen mit Dawn die Wohnung verlassen hatte. Zwischen ihrer Tochter und dem Geist der toten Frau existierte eine enge Bindung, und die an diesem Morgen von dem Kristall ausgehenden Schwingungen hatten sie beunruhigt. Normalerweise ähnelte die Gegenwart eines Geistes der Wahrnehmung einer gut gespielten Gitarrensaite, deren angenehmer Anschlag in Manishas Herz widerhallte, während das unendliche Licht des Schöpfers ihre Seele mit jedem verklingenden Takt höher emporhob. Aber die Schwingungen dieses Morgens waren ausgesprochen unharmonisch. Manisha hatte Angst, und je mehr sie sich fürchtete, desto entsetzlicher wurden die Schwingungen. Sie kam sich plötzlich isoliert und allein vor, unfähig, Kontakt zu irgendjemandem aufzunehmen – als sei sie gefangen auf ihrer eigenen Insel des Selbstzweifels.
Manisha …
»Ja, ich bin hier. Sprich durch mich – sag mir, was nicht in Ordnung ist.«
Du und deine Familie, ihr müsst fort. Verlasst Manhattan … sofort!
Fort Detrick, Frederick, Maryland
9:43 Uhr
Wie seine zwei jüngeren Brüder war auch Colonel John Zwawa eine körperlich eindrucksvolle Erscheinung. Als Veteran zweier Kriege war der Colonel im Kampfeinsatz und an so unterschiedlichen Orten wie Ägypten und Alaska stationiert gewesen. Er näherte sich der Pensionierung und hatte die ersten sechzehn Monate eines vierjährigen Einsatzes als befehlshabender Offizier in Fort Detrick hinter sich. Allerdings hatte er zwar die Leitung – doch was laufende Operationen betraf, wurde er vom Pentagon bewusst nicht eingeweiht. Bis zu diesem Morgen war die größte Sorge des Colonels gewesen, auch ja darauf zu achten, dass die Getränkeautomaten des Stützpunkts immer gut gefüllt waren.
Von heute an würde der Colonel nicht mehr die Rolle des Hausverwalters spielen. Die Unterrichtung durch Lydia Gagnon hatte alles verändert.
Die Mikrobiologin hatte den Blick in die ferngesteuerten Kameras gerichtet, und ihr Konterfei erschien auf abhörsicheren Monitoren im Pentagon, im Weißen Haus und an Bord der beiden Hubschrauber der schnellen Eingreiftruppe, die in Richtung Manhattan rasten. »Der Koffer, der aus unserer Anlage der Biosicherheitsstufe 4 entwendet wurde, gehörte zu einem streng geheimen Projekt namens Scythe . Scythe ist, kurz gesagt, eine sich
selbst einsetzende biologische Waffe, die es einem infizierten Aufständischen ermöglicht, die Beulenpest schnell unter feindlichen Soldaten oder Zivilisten zu verbreiten.
Scythe ist der Schwarze Tod von seiner schlimmsten Seite, die Kombination der Beulen-, Lungen- und septikämischen Pest in einer Form, die schnell quer durch tierische und menschliche Populationen verbreitet werden kann. Während der Beulen-Pandemie von 1347 lebte das Bakterium, Yersinia pestis, im Magen seines Hauptüberträgers, des Rattenflohs. Pestbakterien vermehren sich rasch im Innern eines Flohs und blockieren seinen Vorderdarm. Dies stimuliert den Hunger und spornt zu weiteren Bissen an. Jedes Mal wenn der Floh einen Wirt beißt, würgt er an unverdautem Blut und Pestbazillen und erbricht sie in die Wunde. Die infizierten Flöhe lebten von ihren Rattenwirten und sorgten für eine epizootische Ausbreitung, die seinerzeit Asien und Europa verwüstete. Obschon der am besten
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