Das Ende - Alten, S: Ende
»Informieren Sie den Bürgermeister.
Sagen Sie ihm, er soll die Abriegelung Manhattans öffentlich bekannt geben, aber er soll auch betonen, dass es sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme handelt, eher eine Katastrophenübung als ein tatsächlicher Ernstfall. Sagen Sie ihm nichts von Scythe. Das Letzte, was wir im Moment gebrauchen können, ist eine Massenpanik. Wo ist die First Lady?«
»Von Chicago unterwegs zum Weißen Haus.«
»Sie soll dort bleiben, sorgen Sie dafür, dass meine Familie in Sicherheit ist. Ich muss mich hinlegen … eine Stunde, um nachzudenken.« Der Präsident steuerte auf das Schlafzimmer zu, wandte sich dann noch einmal um und suchte den Blickkontakt mit jedem seiner Berater. Allen war bange zumute, doch niemand sah weg – ein gutes Zeichen.
»Wir stecken ziemlich in der Klemme, aber wir wollen nicht unsere Fassung verlieren und die Masse in Panik versetzen. Das Letzte, was wir wollen, ist, unseren Feinden den Vorwand liefern, für den sie die ganze Zeit die Trommel rühren, um Irans Ölreserven übernehmen und ihre Neue Weltordnung aus dem Boden stampfen zu können.«
»Sir, Scythe wurde nur Minuten, bevor Sie zur UNO sprechen wollten, freigesetzt. Ist es möglich …«
»Dass wir einen Judas im Weißen Haus haben?« Der Präsident atmete aus und kniff sich in den Nasenrücken. »Trauen Sie niemandem außerhalb dieses Raumes.«
City Hall Park, Lower Manhattan, New York
12:04 Uhr
Geboren in Niagara Falls und aufgewachsen in der Bronx, war Mathew Kushner New Yorker in der vollen Bedeutung des Wortes. Nachdem er die Syracuse University und die New York Law School absolviert hatte, trat Kushner in die Kanzlei seines Vaters ein und spezialisierte sich auf Einwanderungsrecht. Am Morgen des 11. September 2001 war der Anwalt weniger als einen Kilometer von seinem Büro in Lower Manhattan entfernt, als der erste gekaperte Passagierjet in den New Yorker Luftraum eindrang und ins World Trade Center einschlug.
Bürgermeister Kushner stand auf den obersten Stufen des Rathauses vor einem mit Mikrofonen gespickten Podium und musste sich beherrschen, das Rednerpult nicht mit einem Fußtritt in die Menge zu befördern. Wieder einmal war seiner geliebten Stadt Gewalt angetan worden. Man hatte Manhattan gewaltsam isoliert, ohne seinen Rat oder seine Billigung einzuholen. Aus Washington wurde er mit Halbwahrheiten gefüttert, während schwarze Militär-Hummer durch die Straßen rasten und Männer in Schutzanzügen überall in Tudor City und bei der UNO die Angst schürten. Es brauchte weder einen Einwanderungs-Anwalt, um zu begreifen, dass gerade massiv Bürgerrechte verletzt wurden, noch ein Examen in Psychologie von der Syracuse, um zu wissen, dass Manhattans Blutdruck weiter in Wallung geraten würde, bis die Situation in einem Aufstand eskalierte, gegen den die Watts-Unruhen von Los Angeles aussehen würden wie eine Parkplatz-Party.
Und das war letztendlich auch der Grund, warum Bürgermeister Kushner schließlich eingelenkt hatte und
nun die zweifelhafte Rolle des Pressesprechers spielte. Nicht weil er die Geschichte, die man ihm aufgetischt hatte, glaubte, sondern weil er sie glauben musste – weil die Notlüge eines Politikers manchmal den Unterschied zwischen staatsbürgerlichem Gehorsam und staatsbürgerlicher Zerrüttung ausmachte.
»Guten Tag. Wie die meisten von Ihnen inzwischen wissen, sind sämtliche Brücken, Tunnels, Schnellstraßen, im Prinzip alle Möglichkeiten, Manhattan zu verlassen oder zu betreten, vorübergehend gesperrt worden. Diese Anordnung, die direkt aus dem Weißen Haus kam, ist eine Vorsichtsmaßnahme, die es dem medizinischen Personal der Seuchenschutzbehörde erlaubt, einen kleinen Ausbruch eines grippeähnlichen Virus, der vor ein paar Stunden auf der United Nations Plaza entdeckt wurde, zu bewältigen, zu versorgen und zu beobachten. Zu Ihrer eigenen Sicherheit und um eine Entspannung der Stauverhältnisse zu ermöglichen, bitte ich alle Bewohner und Gäste Manhattans, in geschlossenen Räumen zu bleiben, bis das CDC offiziell Entwarnung gibt.«
»Bürgermeister Kushner …«
»Herr Bürgermeister!«
Ohne die Presse zu beachten, folgte Mathew Kushner seinen Referenten zurück ins Rathausinnere und nahm sich vor, seine Wut an dem ersten Mitarbeiter der Regierung Kogelo auszulassen, der dumm genug war, seinen Anruf entgegenzunehmen.
143 Houston Street
Lower Manhattan, New York
12:55 Uhr
Im Jahr 1898 erbaut, beherbergte das Sunshine Cinema
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