Das Ende der Geduld
von einigen Vertretern meiner Zunft lange Zeit gefordert, die Anwendung des JGG auf die Altersgruppe bis 25 Jahre auszudehnen. Ich selbst glaube, dass die bestehende Regelung sich bewährt hat, ist sie doch flexibel, durchlässig und eröffnet die Möglichkeit, jedem Einzelfall gerecht zu werden. Zu oft hat man einen 19-Jährigen vor sich, der die siebte Klasse der Hauptschule dreimal wiederholt hat, um schließlich ausgeschult zu werden, sich dem Cannabis-Konsum so exzessiv hingibt, dass er kurz vor der Psychose steht, und keinerlei Zukunftsplanung aufweist. Hier sind, sofern seine Straftaten nicht gravierend sind, Beratungsgespräche bei einer entsprechenden Drogentherapieeinrichtung zur Auslotung der geeigneten Langzeitbehandlung sicher angebrachter als die Verhängung einer Geldstrafe, die im Zweifel ohnehin nicht bezahlt wird. Im Übrigen wird in Berlin in etwa 50 Prozent der Fälle, die Heranwachsende betreffen, das allgemeine Strafrecht angewendet, sodass der diesbezüglich erhobene Vorwurf eines zu laxen Umgangs mit straffällig gewordenen Heranwachsenden ohnehin weitgehend ins Leere geht.
Die jugendrichterliche Zuständigkeit richtet sich nach dem Wohnort der Angeklagten. Das ist wichtig und richtig. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Richter einen Bezug zum sozialen Umfeld haben, in dem sich die Täter bewegen. Man hat das notwendige Hintergrundwissen, um eine eigene Einschätzung der Ursachen von Jugendkriminalität abgeben zu können. Das erleichtert die Auswahl der passenden Maßnahme.
Darüber hinaus hat der Jugendrichter auch die Zuständigkeit für die sogenannten Jugendschutzsachen. Hier sind die Täter ganz überwiegend Erwachsene, die Straftaten zum Nachteil von Kindern begehen. Die klassischen Fälle sind die Misshandlung von Schutzbefohlenen, der sexuelle Missbrauch von Kindern und die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Es handelt sich um einen relevanten Zuständigkeitsbereich. An der Anzahl und dem Inhalt der Verfahren, die gegen die Eltern geführt werden, lassen sich viele Probleme ablesen, die für das spätere Abgleiten der Kinder in die Kriminalität relevant sind. Auch diesen Themenbereich gilt es noch näher zu betrachten.
Einzelrichtertag - Schöffenverfahren
Aus den bislang dargestellten Fällen und Zahlen ergibt sich, dass sich die Jugendrichter im Spannungsfeld zwischen „Feld-, Wald-und Wiesenkriminalität" und erheblichen Gewaltdelikten bewegen. Die Lehmanns, Maiks und Johns sind nicht die Ausnahme, aber auch nicht die Regel.
An einem durchschnittlichen Verhandlungstag stehen im Amtsgericht von 9.15 Uhr bis 14.30 Uhr im 15- bis 45-Minuten-Takt die sogenannten „Einzelrichtersachen' an. Hier verhandelt der Richter allein, das heißt ohne Schöffen. Heute sind einige Schwarzfahrer dabei, deshalb die kurz aufeinanderfolgenden Termine am Beginn. „Erschleichen von Leistungen" heißt der Tatbestand des Schwarzfahrens juristisch. Ein absolutes Massendelikt, das die Gerichte zunehmend beschäftigt. Die „Täter" der Leistungserschieichungen sind meist geständig und hinlänglich damit ausgelastet, die „erhöhten Beförderungsentgelte" - in Berlin 40 Euro pro aufgedeckter Tat - abzustottern. Deshalb sehe ich in den Fällen von Beförderungserschieichungen lediglich zu, dass ich mit dem oder der Angeklagten kläre, inwieweit die Begleichung der Schulden bei den Berliner Verkehrsbetrieben bereits geregelt wurde. Häufig bewegt man sich hier auf der absoluten Nulllinie, denn das Gros der Betroffenen hat meist ganz andere Probleme, als sich darum zu kümmern. Abgesehen davon sind die Mahnschreiben der seitens der Berliner Verkehrsbetriebe eingeschalteten Inkassobüros fast immer irgendwie im allgemeinen Lebenschaos untergegangen. Deshalb versuche ich mit der Jugendgerichtshilfe und den Angeklagten zu vereinbaren, dass die Schuldnerberatung des jeweiligen Amtes aufgesucht wird, um eine Schadensbegrenzung durch ein Ratenzahlungsgesuch zu erreichen. Zu einer Verurteilung kommt es in diesen Fällen also nicht so oft. Die Schwarzfahrer kommen der Weisung dankbar nach und ich stelle das Verfahren nach durchgeführter Regulierung ein, wenn keine Vorbelastungen strafrechtlicher Art vorhanden sind. Die Verfahren zwischen 9.15 Uhr und 10.00 Uhr lassen sich auf diese Weise zügig abarbeiten.
Um 10.00 Uhr wird es dann etwas komplizierter. Eine umfangreiche E-Bay-Betrügerei steht an. Die junge Frau hat in etwa zwanzig Fällen Gegenstände zur Ersteigerung angeboten,
Weitere Kostenlose Bücher