Das Ende der Geduld
bewegt, wie er sich an schöne Tage erinnert und sie sogleich vergisst, so ermattete auch ich und kämpfte um den letzten Funken, der in mir lebt.
Johns Lebenslauf ist ebenfalls typisch: Eine alleinerziehende, häufig auf staatliche Transferleistungen angewiesene, mit weiteren persönlichen Problemen belastete Mutter mehrerer Kinder, Heimaufenthalte, die früh angelegte Drogenkarriere, kein Schulabschluss, Abgleiten in die Obdachlosigkeit, Bettelei - schließlich nahezu zwangsläufig kriminelles Verhalten bis hin zu massiver Gewalttätigkeit. Am Ende steht staatlicher Gewahrsam, ob nun in Form von Knast, Psychiatrie oder Entziehungsanstalt. Ich werfe mir rückschauend ein Versäumnis vor, das sich durch Johns Geschichte zieht und das auch mir unterlaufen ist: Es wurde zwar ab und zu irgendwie versucht, in die Entwicklung regulierend einzugreifen. Was aber fehlte, war die Nachhaltigkeit, die Kontinuität. Auch ich habe nicht darauf bestanden, dass John die stationäre Therapie durchzieht. Die kurzfristige Stabilisierung durch die Freundin nach seiner Verurteilung, die MAE-Maßnahme, die Zusammenarbeit mit der Bewährungshelferin, die körperliche Entgiftung und die Betreuung durch einen Anti-Drogen-Verein haben mich dazu veranlasst, dem Alkohol- und Drogenmissbrauch, der eindeutig und unübersehbar seit mindestens zehn Jahren Johns Hauptproblem darstellt, nicht absolute Priorität einzuräumen. Das wäre aber notwendig und richtig gewesen: einmal bei einer Linie zu bleiben, einen roten Faden zu spinnen. Denn Abbrüche aller Art und Güte sind die wenigen Konstanten in Johns bisherigem Leben. Von der Mutter weg, ins erste Heim und in ein weiteres und immer so weiter. Ähnlich verhält es sich mit der Schule. Immer wurde er irgendwie durchgereicht. Letztendlich werden die tatsächlichen Probleme nicht erkannt, und falls doch, nicht kontinuierlich und konsequent bekämpft.
Anders stellt es sich jetzt im Maßregelvollzug dar. Hier hat John genug Zeit, an sich zu arbeiten, und wird dabei sehr qualifiziert und professionell unterstützt.
»Wir sind die Guten« - Jugendliche aus »besserem Haus«
Einige Jugendliche aus den „gutbürgerlichen" westlichen Bezirken Berlins haben im Laufe der Jahre, in denen ich als Jugendrichterin tätig bin, eine bemerkenswerte Entwicklung genommen. Sie sind immer satter geworden und begehen deshalb die eine oder andere Straftat. Hier sind die Eltern überwiegend Doppelverdiener, verfügen über eine tolle Wohnung, eher noch über ein freistehendes Einfamilienhaus, es gibt viele Reisen, perfekt ausgestattete Kinderzimmer mit Laptop und Fernseher - Flachbildschirm, versteht sich. Die Jugendlichen verfügen über sehr viel Geld, das sie in ihr Handy, Alkohol und Drogen, vornehmlich jede Menge Haschisch, investieren. Ein Heranwachsender aus dem Westteil der Stadt, der im Gericht vor mir stand, weil er Kokain im Wert von etwa 2500 Euro gekauft hatte, was aufgrund der Menge den Verdacht nahelegte, er wolle das Rauschgift weiterverkaufen, schilderte mir kühl, er habe vorgehabt, in der Villa seiner Eltern, zweier Ärzte, eine Party zu feiern, und habe seinen Freunden mal was anderes bieten wollen als immer nur Champagner. Die Eltern erschienen nicht zur Gerichtsverhandlung. Es war ja auch schon alles so lange her - der Sohn hatte inzwischen ein Jahr Auslandsaufenthalt zur Vorbereitung auf sein Studium hinter sich, ließ man mich wissen.
Einzelne Jugendliche aus den sozial bessergestellten Familien haben zum Teil kein Verhältnis mehr zum Allgemeingut. Sie zerstören mutwillig Schulinventar, zerkratzen die Computerbildschirme, verwüsten Sanitäranlagen und sprühen rund um die Schule massenhaft Grafiitis. Die Schulen zeigen viele Taten nicht an, sondern versuchen, die Angelegenheit intern zu regeln. Ich vermute stark, dass dahinter die Sorge steht, der „Ruf" der Schule könnte anderenfalls leiden. Falls es dann doch einmal zur Gerichtsverhandlung kommt, haben die Angeklagten zwei Anwälte dabei, die in Zweifel ziehen, dass Karl-Konrad mit bedröhntem Kopf und unter den Augen von fünf Zeugen den Seitenspiegel eines Autos abgetreten hat.
Was mir zudem besonders auffallt, ist die Qualität des Mobbings, das in meinen Augen inzwischen gerade an Gymnasien extrem zugenommen hat. Wer einmal „Opfer" ist, findet aus dieser Rolle nur sehr schwer wieder heraus. Manchmal hilft hier tatsächlich nur ein Schulwechsel. Mitursächlich für dieses Phänomen sind aus meiner Sicht u.a. das
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