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Das Ende der Geduld

Das Ende der Geduld

Titel: Das Ende der Geduld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Heisig
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erscheint, der von Anfang an dabei war. Die heutige Fortsetzung musste nun in den Einzelrichtertag „eingeschoben" werden, weil der erste Termin zehn Tage zuvor stattfand und demnächst Ferien anstehen. Dann wird die Schöfiin zwei Wochen lang verreisen und die Dreiwochenfrist würde überschritten. Wenn das geschieht, beginnt das Verfahren von vorne. Das Opfer wird dann nochmals der Vernehmung ausgesetzt. Nun haben wir heute zwei Zeugen vernommen und drei Wochen gewonnen, bis der nächste Verhandlungstag in diesem Verfahren stattfindet.
    Um 13.30 Uhr gehen die Einzelrichterverfahren weiter. Es steht ein Graffiti-Fall an. Drei Jugendliche haben wild „getaggt". Dabei werden meist mit einem schwarzen Filzstift unleserliche Krakel an Häuserwände oder Kacheln in öffentlichen Verkehrsmitteln geschmiert. Unverständlich sind die Schriftzüge oft nur für den Laien. Innerhalb der Graffiti-Szene kommt ihnen durchaus Bedeutung zu. Man markiert durch seinen Schriftzug, dass man da war, dass das hier „mein Revier" ist. Ganz wichtig sind die namentlichen Tags für den Beweis der Urheberschaft eines größeren Kunstwerkes, also z. B. eines vollständig bemalten S-Bahn-Zugs. Da wird dann meist unten an der Seite der Tag-Name angebracht, damit man den „Fame" erlangt, also berühmt wird. Wehe dem, der ein solches Gebilde übermalt! In solchen Fällen hat es bereits Tote gegeben. Die drei Angeklagten besuchen alle ein Gymnasium und sind, soweit erkennbar, keine bekannten Sprayer. Einer ist Kosovo-Albaner. Das fällt auf, sind Graffiti doch in der Regel ein „urdeutsches" Delikt. Seine Familie ist vor einigen Jahren nach Deutschland geflüchtet und wohnte zunächst in einem Heim. Inzwischen hat die Familie eine eigene Wohnung. Der junge Mann erzählt, dass sein Vater unmittelbar nach der Ankunft in Deutschland mit ihm gemeinsam auf die Suche nach einem Deutschkurs gegangen ist. „Die Sprache, die Sprache, die Sprache", habe er stets gesagt. Auch der Sohn hat auf diese Weise schnell Deutsch gelernt, hat keine Probleme in der Schule gehabt und wird demnächst Abitur machen. Die drei sichtlich geknickten Angeklagten werden zu Freizeitarbeiten verurteilt.
    Um 14.00 Uhr, 14.15 Uhr und 14.30 Uhr stehen nur noch Anhörungstermine an. Sie haben stets Probleme zum Gegenstand, die aus nicht erfüllten Weisungen und Auflagen entstehen. Ein Verurteilter hat sein Anti-Gewalt-Seminar nicht abgeleistet - und dies, obwohl er es dringend nötig gehabt hätte. Ich hatte ihn zu einer Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er im öffentlichen Straßenverkehr aus Verärgerung über einen anderen Verkehrsteilnehmer diesem mit einer Eisenstange das Dach seines PKWs eingeschlagen hatte. Er erscheint nicht zur Anhörung und erhält zunächst zwei Wochen Beugearrest, um ihn zur Erfüllung der richterlichen Anordnungen zu zwingen. Wenn der junge Mann die Bewährungsweisung auch nach der Arrestverbüßung weiterhin ignoriert, werde ich die Bewährung wahrscheinlich widerrufen. Auch dieser Verurteilte hatte sich übrigens in der vorangegangenen Hauptverhandlung in erster Linie über die Entziehung seiner Fahrerlaubnis erregt - dies insbesondere deshalb, weil ich seinerzeit mitten in der Sitzung die Polizei herbeigerufen hatte und er mit dem Funkwagen nach Hause fahren musste, um den Führerschein zu holen und bei mir abzugeben. Dem Angeklagten hätte ein „Warnschussarrest" vielleicht gut getan. Den sieht das Gesetz bislang nicht vor. Er wird aber immer wieder diskutiert. Hintergrund hierfür ist: Das Gericht kann einen Angeklagten entweder zu einer Jugendstrafe oder zu einem Arrest verurteilen. Es ist nicht zulässig, eine Bewährungsstrafe zu verhängen und gleichzeitig, als eine Art „Vorgeschmack" auf einen längeren Freiheitsentzug, einen Arrest anzuordnen. Manchmal hören die Täter bei der Urteilsverkündung nur „Bewährung" und schalten dann auf „Durchzug". Da hätte ein möglichst sofort vollstreckter Arrest durchaus das Potenzial, diesem Effekt entgegenzuwirken. Allerdings ist eine sofortige Arrestvollstreckung nicht immer umsetzbar, und drei Monate später ist der Arrest sinnlos geworden.
    Eine andere Verurteilte geht nicht zu den ihr zugewiesenen Freizeitarbeiten. Sie hatte „andere Probleme", sagt sie, will aber nicht konkret werden. Auch hier wird ein Beugearrest angeordnet.
    Schließlich geht es noch um einen jungen Mann, der mit seinem Bewährungshelfer nicht zusammenarbeitet. Er sagt, das „bringe" ihm nichts. Seine

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