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Das Ende der Geduld

Das Ende der Geduld

Titel: Das Ende der Geduld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Heisig
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zumindest körperlich „trocken" und auch von dem Hafterleben schwer beeindruckt. Deshalb wird eine sogenannte „Vorbewährung" von sechs Monaten beschlossen. In dieser Zeit soll John mit einer Bewährungshelferin zusammenarbeiten und eine Alkoholentwöhnungstherapie beginnen. Die Bewährungshelferin soll ihm behilflich sein, das Richtige für ihn zu finden. Nach Ablauf der sechs Monate soll dann über die eigentliche Bewährungsfrage entschieden werden.
    Irgendwie hoffe ich, dass es klappt. Der erste Bericht der Bewährungshelferin ist dann auch außerordentlich positiv. Die Zusammenarbeit mit ihr erfolgt regelmäßig, John hat ein eigenes festes Dach über dem Kopf und sucht eine geeignete Therapie. In der Zwischenzeit betreuen ihn der Anti-Drogen-Verein und die „Off-Road-Kids". Ganz hat er das Saufen nicht aufgeben können, aber er sagt: „Aus dem König Alkohol ist ein Prinz geworden." Blöd kann der nicht sein, denke ich mir beim Aktenstudium. Blöd ist hingegen, wie lange die Bewilligung der Therapie beim zuständigen Rententräger dauert. Anfang 2006 schreibt mir John, dass er zunächst eine zehntägige Entgiftung und dann eine viermonatige Entwöhnungstherapie antritt. Ich kann deshalb die Vollstreckung der Strafe nach Ablauf der sechsmonatigen Vorbewährungszeit aussetzen. Die Entgiftung findet dann noch statt, die stationäre Therapie beendet John allerdings vorzeitig. Die Bewährungshelferin und er meinen, eine ambulante Fortsetzung sei angebracht. Da John regelmäßig seiner MAE-Maßnahme (Mehraufwandentschädigungs-Maßnahme bei ALG-2-Empfängern, sprich einem 1-Euro-Job), nachgeht, eine Freundin hat, keine Straftaten begeht und die Bewährungshelferin regelmäßig aufsucht, halte ich still, obwohl mir rasch unwohl wird. Dann weigert sich der Anti-Drogen-Verein, mit John weiter zu arbeiten, seine Freundin verlässt ihn und der Rückfall ist da. Sofort hagelt es neue Anklagen: John prügelt sich im Park um einen Bierkasten, begeht Graffiti-Schmierereien, fährt permanent schwarz. Die Wohnung wird zwangsgeräumt. Ich muss einen sogenannten Sicherungshaftbefehl erlassen, denn der Widerruf der Bewährung steht unmittelbar bevor. Plötzlich erfahre ich, dass John in der Schweiz verhaftet wurde. Er wird in Zürich wegen Raubes und Besitzes von Cannabis und Amphetamin zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten verurteilt. Nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe wird er u.a. aufgrund meines Haftbefehls nach Deutschland ausgeliefert. Als ich ihn anhöre, bevor ich die Bewährung widerrufe, erzählt er mir, er habe gehofft, sich in der Schweiz zu fangen, stattdessen seien die Alkoholabstürze nur noch schlimmer geworden. Auch das Landgericht Berlin hat einen Haftbefehl gegen John erlassen. Es ging in dem Verfahren um besagte Bierkästen, die unter Verwendung eines Totschlägers, den allerdings nicht John einsetzte, den Besitzer wechseln sollten. John wird auf Anordnung des Landgerichts begutachtet. Der Sachverständige attestiert ihm eine dissoziale Persönlichkeitsstörung und „den Hang, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen". Das hat juristische Konsequenzen. Nach § 64 StGB wird dann die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet, wenn zu befürchten ist, dass ein Angeklagter sonst weitere erhebliche Taten begehen wird.
    John befindet sich jetzt in einer geschlossenen Einrichtung des Maßregelvollzuges in Berlin. Diese leistet offenbar hervorragende Arbeit. John wird demnächst den Hauptschulabschluss erlangen, er hat das Rauchen aufgegeben und erfreut sich daran, auf dem Anstaltsgelände joggen gehen zu können, weil seine Lunge jetzt frei ist. Sein Verstand ist auch frei. Ich weiß das, weil ich ihn besucht habe und er mir seine Gedichte überließ. An dieser Stelle dürfen Johns Gedanken ihren Weg in die Öffentlichkeit finden - wenigstens in einem kleinen Ausschnitt:
    „Finsternis"
    Wie der Herbst sich leise in die Bäume schleicht, so niedergedrückt, so starr, so merke auch ich die Müdigkeit, die mich erreicht, das Leben in weiter Ferne, so endlos, so rar. Oh wie finster der Sturm das Firmament bezieht, garstig mit Blitz und Donner vor sich her grollt, so ward mein Leben von Verachtung und Hass besiegt, so rastlos, so unruhig, wie nie gewollt. Wie die Blätter hilflos im Sturm nach Leben schreien, so ausgelaugt, so schwer, so versprach ich meinem Lebensmut zu verleihen, so abgewürgt, tot und leer. Wie der alte Baum die hellen Tage vermisst, morsch und kahl sich nicht

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