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Das Ende der Geduld

Das Ende der Geduld

Titel: Das Ende der Geduld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Heisig
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die Feindschaften zwischen bestimmten Vereinen kennen, müssen angehalten werden, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um den rechtsradikalen Entgleisungen und Gewaltexzessen vorzubeugen.
    Unerklärlich bleibt auch, was Steven und seine Freunde zu den von ihnen verübten Taten veranlasst hat, die die Opfer nicht nur in Angst und Schrecken versetzt haben, sondern auch demütigende Komponenten aufweisen. Viele Täter gegen wenige Opfer, Einkesselung, In-die-Hände-Klatschen, Skandieren entwürdigender und bedrohlicher Sprüche, Schläge und Tritte auf einen bereits am Boden Liegenden, dem geringwertige, für ihn jedoch ideell bedeutsame Gegenstände weggenommen werden, um sich ihrer dann alsbald zu entledigen. Ist es Langeweile? Ein „blinder", schlicht gruppendynamischer Vorgang? Ein mir sehr häufig gerade von „rechten" Jugendlichen entgegengehaltener Einwand bei dem Versuch, das Motiv einer Tat zu erforschen, ist: „Ich weiß nicht mehr, weshalb ich das damals gemacht habe, ich habe mit den Leuten von damals nichts mehr zu tun." Das fällt schwer zu glauben. Drückt sich in diesen Verhaltensweisen nicht auch die Überzeugung von der Minderwertigkeit anderer aus? Sucht man trotz eigener gelungener Sozialisation immer noch politisch Andersdenkende oder gegnerische Fans, um sich selbst ihnen gegenüber zu erhöhen? Ich erinnere an meine früheren Erfahrungen im Bezirk Pankow, als noch eine gewisse Orientierungslosigkeit der Jugendlichen in der Nachwendezeit festzustellen war. Meine Hoffnung, dass sich rechte Denkstrukturen vollständig auflösen, schwindet allmählich.
    Erfreulicherweise ist im Herbst 2009 eine umfangreiche Studie der Technischen Universität Berlin zum Thema „rechte Gewalt" erschienen. Diesem Forschungsbericht der Arbeitsstelle „Jugendgewalt und Rechtsextremismus" am dortigen Zentrum für Antisemitismusforschung zufolge handelt es sich um ein „relativ kleines Problem" (Heft Nr. 39 des Berliner Forums Gewaltprävention, S. 114). Im Jahr 2008 wurden danach in ganz Berlin achtzig Körperverletzungen mit „rechtem" Hintergrund begangen. Der Anteil der rechts-motivierten Gewalttaten liegt bezogen auf die Gesamtheit der Gewaltkriminalität in Berlin und im Übrigen auch in Hamburg bei 0,2 Prozent. Die sogenannten „Propagandadelikte" wie z. B. die Volksverhetzung, sind in der Zeit zwischen 2005 und 2008 in Berlin von 1046 auf 918 zurückgegangen (jeweils bezogen auf ein Jahr). Die unter 21-jährigen Täter machen allerdings inzwischen rund 50 Prozent aller Täter aus. Im Zeitraum zwischen 2003 und 2006 lag ihr Anteil bei 35 Prozent. Die Untersuchung vermittelt eine Erkenntnis, die auch ich aus meiner Berufspraxis gewonnen habe: Es geht den meisten Tätern weniger um politische Ziele, sondern vielmehr um ein spontanes Gruppenerleben als Resultat einer unheilvollen Mischung aus allgemeiner Gewaltbereitschaft, Alkoholkonsum und Langeweile. Ein Zitat aus der Studie fasst diese Einschätzung hervorragend zusammen: „Hintergrund der fremdenfeindlichen Straftaten war fast regelmäßig eine , saufende Männerhorde', die sich über Wochen und Monate mit unterschiedlichen Konturen und eher schwach ausgebildeten Organisationsstrukturen traf, eine ominöse Kameradschaft beschwor, der letztlich kaum einer über den Weg traute, die aber doch unter gruppendynamischen Gesichtspunkten für die Delikte von entscheidender Bedeutung war. Männerriten des gemeinsamen Saufens, des Beschwörens des Starken-Mann-Seins und der Verächtlichmachung alles anderen und Fremden, wie z. B. der Fremdaussehenden, der Homosexuellen, der Behinderten und selbst der Frauen, spielen eine große Rolle" (a. a. O..S.18).
    Ich glaube, dass in dieser Wertung auch der Grund dafür zu finden ist, warum die Jugendlichen später so häufig sagen: „Ich weiß nicht mehr, warum ich da mitgemacht habe."
    In den östlichen Bundesländern ist die rechte Gewalt ein größeres Thema als in Berlin. Auch dies lässt sich in der Untersuchung der TU Berlin nachlesen. Leider bezieht sich die Studie in diesem Punkt nur auf Brandenburg. Die Einbeziehung von Sachsen wäre interessant gewesen. Der Erhebung zufolge ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines allgemeinen Gewaltdeliktes zu werden, in Großstädten wie Berlin und Hamburg gegenüber Brandenburg doppelt so hoch. Jedoch ist in Brandenburg die Gefahr, Opfer eines politisch rechts motivierten Gewaltdeliktes zu werden, höher. Im Jahr 2007 lag sie dort pro 100.000 Einwohner bei 3,7 Fällen, in Berlin für

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