Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Geduld

Das Ende der Geduld

Titel: Das Ende der Geduld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Heisig
Vom Netzwerk:
dasselbe Jahr bei 2,2 und in Hamburg bei 1,5 Fällen. Für das Jahr 2008 sind die Zahlen allerdings für alle drei Länder nahezu deckungsgleich (2,8 zu 2,7 und nochmals 2,7).
    Das mag u.a. an der Arbeit meines Kollegen Andreas Müller liegen. Er ist der einzige Jugendrichter in Bernau und hat dort viel mit rechten Jugendlichen und Heranwachsenden zu tun. Er kann mit Recht als Experte bezeichnet werden, zumal er nicht nur hart gegen „Rechte" vorgegangen ist, was schon damit beginnt, dass er sie gelegentlich auch mal nur auf Socken, also ohne ihre Springerstiefel, in den Sitzungssaal eintreten ließ. Zudem hält er viele Vorträge und bemüht sich sehr um präventive Arbeit. Deshalb bin ich dankbar, dass ich mit ihm einige seiner Verfahren gegen „Rechte" diskutieren durfte, die ich im Folgenden schildern werde.
     
Ein indisches Restaurant in Bernau
    Ein 19-jähriger Skinhead veranstaltet im Jahr 2000 eine Geburtstagsfeier. Es erscheinen die Mitglieder der örtlichen rechten Szene. Der Alkohol fließt in Strömen, man hört Musik mit rechtsradikalen Texten. Nachts ziehen alle laut grölend zum S-Bahnhof Bernau. Auf dem Weg dorthin liegt ein indisches Restaurant. Das Geburtstagskind tritt mit seinen Springerstiefeln die Scheibe des Lokals ein und schießt zur Begeisterung seiner Gesinnungsgenossen mit einer Pistole in den Innenraum, in dem sich keine Menschen mehr aufhalten. Mein Kollege Müller, der alsbald von dem Vorfall erfuhr, sorgte dafür, dass der Täter innerhalb von zehn Tagen vor Gericht stand und unter den Augen der gesamten rechten Szene Bernaus eine zehnmonatige Freiheitsstrafe - keine Jugendstrafe - ohne Bewährung erhielt. Die indischen Beschäftigten des Lokals hatten ihn zuvor in seinem Büro aufgesucht und ihre Ängste zum Ausdruck gebracht. Das Landgericht änderte die Entscheidung in eine sechsmonatige Bewährungsstrafe ab, nachdem sich der Angeklagte zwischenzeitlich einer Alkoholentwöhnungstherapie unterzogen hatte.
     
Der »White-Wolfs-Clan«
    Ebenfalls im Jahr 2000 überfallen rechte Jugendliche immer wieder Cannabiskonsumenten in der Umgebung von Bernau. Darüber hinaus kommt es zu Angriffen auf türkische Imbisse sowie auf eine Studentin, die nicht zur Punkerszene gehört, aber einen grünen Streifen im Haar trägt. Die Haupttäter beabsichtigen, einen sogenannten „White-Wolfs-Clan" zu gründen, der sich am Vorbild des Ku-Klux-Klan orientieren sollte. Richter Müller erlässt in der Hauptverhandlung erneut in Gegenwart der rechten Szene Haftbefehle gegen die Angeklagten, die sofort vollstreckt werden. Es werden Jugendstrafen in Höhe von bis zu zwei Jahren und fünf Monaten verhängt. Die Szene zeigt sich geschockt. Das Urteil hat eindeutig abschreckende Wirkung entfaltet. Seit dieser Entscheidung hat es keine erheblichen rechtsradikalen Übergriffe in Bernau und Umgebung mehr gegeben, wie Kollege Müller bestätigt. Wir haben über den Fall lange miteinander diskutiert, denn „Abschreckung" - juristisch nennt man dieses Phänomen „Generalprävention" - ist im Jugendstrafrecht nach überwiegender Ansicht von Juristen und Kriminologen als Zweck der Strafe eigentlich nicht vorgesehen. Das soll sich aus dem Grundgedanken ergeben, der hinter dem JGG steht: Der Jugendliche soll mit einer erzieherisch sinnvollen Maßnahme bedacht werden. Dem steht angeblich entgegen, die Strafe auch unter Abschreckungsaspekten bezüglich potenzieller anderer Täter zu bemessen. Dennoch hat der Kollege die Jugendstrafen zusätzlich unter dem Gesichtspunkt der Generalprävention bemessen und dies in die Urteilsgründe aufgenommen. Das Landgericht hat die Strafen im Ergebnis bestätigt. Mein Kollege Müller und ich haben die Verfahrensweise ausgiebig besprochen. Er steht weiterhin zu seiner Meinung. Ich denke darüber folgendermaßen: Wenn aus Gruppen heraus gegen bestimmte Teile der Bevölkerung gerichtete schwere Straftaten begangen werden, muss sich der Täter auch an der Zugehörigkeit zu einer Gruppierung messen lassen, denn der Sinn der Taten liegt dann darin, andere Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer vermeintlichen politischen Gesinnung oder einfach nur aufgrund einer alternativen Lebensweise zu demütigen, anzugreifen oder ihr Hab und Gut zu zerstören. Dass dieses eigentlich individuelle Bemessungskriterium zugleich - sozusagen reflexartig - abschreckende Wirkung in der Szene entfaltet, ist meiner Meinung nach nicht nur notwendig, sondern auch erwünscht.
    Übrigens wurde Richter Müller

Weitere Kostenlose Bücher