Das Ende der Geduld
Misshandlungen oder Missbrauch gibt, oder wird weggeschaut?
Ich habe vor kurzer Zeit außerhalb des Gerichts ein Gespräch mit einem jungen Mann geführt, der aus einer türkischen Familie stammt. Er ist mehrfach verurteilt worden. Zuletzt verbüßte er eine mehrjährige Jugendstrafe wegen Kokainhandels. Seine beiden Brüder sitzen gegenwärtig langjährige Strafen ab. Mein Gesprächspartner hat bestätigt, dass seine Kindheit durch die massiven körperlichen Übergriffe seitens beider Eltern geprägt war. Sie banden ihn im Badezimmer an ein Heizungsrohr, verbrannten seine Haut mit glühenden Häkelnadeln und schlugen ihn mit dem Kopf auf einen scharfkantigen Gegenstand, als er einen Gegenstand verschluckt hatte. Seine Verletzungen waren für alle anderen sichtbar. Nur ein einziges Mal wurde hierauf reagiert. Eine Sportlehrerin sah die großen Hämatome und schaltete sofort das Jugendamt ein. Damals lebte die Familie in Nordrhein-Westfalen. Der Junge kam für einen Monat in ein Heim. Er verbrachte dort die einzige Zeit seiner Kindheit, in der er nicht verprügelt wurde. Dann gelobten die Eltern Besserung, bekamen das Kind zurück, und alles ging von vorn los. Ich habe ihn gefragt, ob das Schlagen der Kinder bei den Türken verbreitet sei, was er erstaunt bejahte, da diese Tatsache ihm allgemein bekannt erschien. Genauso üblich sei es, dass solche Taten von Türken nicht angezeigt würden. Alle wissen alles, aber den Eltern die deutschen Behörden auf den Hals zu hetzen, kommt für die Türken den Ausführungen des Mannes zufolge nicht in Betracht. Er war verblüfft, als ich ihm mitteilte, dass die Eltern für das, was sie ihm antaten, zu bestrafen gewesen wären. Wenn mein Gesprächspartner recht hat, leben in Deutschland Tausende von misshandelten Migrantenkindern, die potenzielle Gewalttäter sind. Uns stehen keine tauglichen Mittel zur Verfügung, diesen Kindern zu helfen, wenn die Taten nicht zur Anzeige gelangen.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der an den Problemen bewusst vorbeigeschaut wird: aus Tradition seitens der Zuwanderer, aus Bequemlichkeit und Angst seitens der Deutschen. Das hat sich auch in München-Solln gezeigt. Die Menschen achten nicht mehr aufeinander und stehen nicht mehr füreinander ein. Wir versagen als Staat und als Individuen. Das können wir uns nicht mehr leisten.
Daraus folgend muss zwangsläufig auch die allgemeine Behauptung der Untersuchung bezweifelt werden, dass das Umfeld der Jugendlichen körperliche Übergriffe als Mittel der Konfliktlösung zunehmend verurteile. Die Kinder und Jugendlichen sind einer ständigen Reizüberflutung ausgesetzt. Die zahlreich verbreiteten Rap-Videos und Killerspiele habe ich bereits erwähnt. Aber auch die ganz Kleinen können früh lernen, dass Brutalität eine sozial anerkannte menschliche Eigenschaft ist. Wie sonst ist es zu erklären, wenn im Kinderkanal von ARD und ZDF z. B. am 17.9.2004 um ca. 16.30 Uhr folgende Szenen zu sehen sind: Ein Junge ist an einen Baum gefesselt. Ihm wird ein Knebel in den Mund gesteckt. Ein Jugendlicher schlägt einen anderen zusammen. Ein Mädchen klemmt einem Jungen absichtlich die Finger in der Autotür ein. Ein Junge wird mit einem starken Eisenhaken von hinten am Hals gepackt. Die Sprache ist ebenfalls brutalisiert: „Du wirst dafür bezahlen." Man könnte diese Aufzählung noch lange fortfuhren.
Zu einem letzten Punkt der Studie: Es wäre an der Zeit, nicht nur die deutschen Jugendlichen nach ihrer Haltung gegenüber Ausländern, Antisemitismus und Rechtsextremismus zu befragen. Wenn die Jugendlichen im Hinblick auf rassistische.Entwicklungen beobachtet werden sollen, was ich für richtig halte, dann bitte in jede Richtung: Es findet sich in bestimmten sozialen Brennpunkten inländerfeindliches und zunehmend antisemitisches Gedankengut, das in Anbetracht der demografischen Entwicklung in Deutschland, langfristig gesehen, in Rassismus gegenüber den nichtmigrantischen Bevölkerungsteilen ausarten kann. In einem Verfahren gegen türkisch- und kurdischstämmige Jugendliche und Heranwachsende, die in einem Bus gegenüber deutschen jungen Frauen äußerten: „Deutsche kann man nur vergasen", war die Betroffenheit der Opfer jedenfalls greifbar.
Unter diesem Phänomen leiden im Übrigen zunehmend Homosexuelle, die auch von Deutschen schon immer eher herablassend behandelt wurden. Viele Türken und Araber verachten Schwule und behandeln sie dementsprechend. Muslime sehen Homosexuelle oft als einen Auswuchs
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