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Das Ende der Geduld

Das Ende der Geduld

Titel: Das Ende der Geduld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Heisig
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jugendrichterliche Arbeit in Neukölln von besonderer Bedeutung. Wie erwähnt wissen wir Jugendrichter zum Teil nicht genau, wie die Maßnahmen aufgebaut und auf welche Tätergruppen sie zugeschnitten sind. Um den notwendigen eigenen Eindruck zu gewinnen, habe ich mich mit mehreren Maßnahmen befasst. Die Anti-Gewalt-Seminare der „Warthe 60" umfassen acht Gruppentermine von jeweils 2,5 Stunden. Die Teilnehmerzahl liegt bei fünf Personen. Es wird nicht nach Ethnien oder Straftaten unterschieden. Angeboten wird immer ein Seminar, das heißt, wer zugewiesen wird, kann nicht sogleich beginnen, sondern muss im schlechtesten Fall acht Wochen bis zum Beginn des nächsten Kurses warten. Zu Beginn eines Seminars findet mit jedem Teilnehmer ein Einzelgespräch statt. Die Regeln für die Teilnahme werden geklärt, die regelmäßige und aktive Teilnahme ist verpflichtend, wer zweimal fehlt, mit Entschuldigung oder ohne, fliegt raus. Das finde ich ausgezeichnet, da auf diese Weise jede Form des Ausweichens unterbunden wird.
    Die erste Gruppensitzung dient dem gegenseitigen Kennenlernen. Jeder stellt sich mit seinen positiven Eigenschaften dar. Es erfolgt eine gemeinsame Definition von und Einigung auf Regeln während der Trainingszeit. Diese werden im Rahmen einer Pro-und-Contra-Diskussion erarbeitet. Besonders gefällt mir an dem Konzept das Entwerfen eines „Elfchens", was mich zunächst an eine Märchengestalt denken ließ, wobei es sich aber tatsächlich um die Formulierung der elf Ziele für die kommenden Termine handelt. Die Kürze der Darstellung ist bei den betroffenen Jugendlichen angebracht, sind sie in Wort und speziell Schrift doch meist nicht sonderlich gewandt. Ein „Besinnungsaufsatz" wäre an dieser Stelle mithin wirkungslos. Für die nächste Stunde wird eine Hausaufgabe erteilt: Von drei bedeutsamen Personen des sozialen Umfeldes, die der jeweilige Teilnehmer auswählt, soll bis zur nächsten Sitzung erfragt werden, welche positiven Eigenschaften sie an dem Jugendlichen wahrnehmen. Sehr gut! Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Betroffene nicht nur seine 2,5 Stunden absitzt und sich ansonsten wieder seinen gewohnten Verhaltensmustern hingibt. Er muss Leute aus seinem Bezugssystem auswählen, sich mit diesen unterhalten, und möglicherweise kommen so Gespräche in der Familie oder dem Freundeskreis zustande, die es sonst nie gegeben hätte.
    In der zweiten Gruppensitzung schildern die Teilnehmer ihre aktuelle Lebenssituation. Im Anschluss daran beschreiben sie ihre Ziele und Vorstellungen bezogen auf die kommenden zehn Lebensjahre und machen sich Gedanken dazu, wie diese Ziele erreicht werden können. An diesem Punkt des Konzepts habe ich etwas die Stirn gerunzelt, weil es bislang nicht um das Thema Gewalt ging. Allerdings erreicht das Trainerteam, dass sich die Teilnehmer zunächst miteinander vertraut machen, was wohl den Boden für die Auseinandersetzung mit der eigenen Gewaltproblematik ebnet: Wer kommt schon in eine fremde Umgebung mit unbekannten Menschen und schildert nebenbei, wie er Schülerinnen mit einem Gewaltorgienvideo auf dem Handy geschockt, sie ans Gesäß gefasst und als „größte Schlampen" der Schule bezeichnet hat? Folgerichtig sieht die Strategie der „Warthe 60" ein Warmup vor und schließt sodann eine zunächst theoretische Einführung zum Thema Gewalt und Aggression an. Es werden weiterhin die Situationen gesammelt, in denen die Jugendlichen wütend reagieren, sich hilflos fühlen. In der dritten bis siebten Sitzung werden die Taten bearbeitet, deretwegen die Teilnehmer dem Seminar zugewiesen wurden. Gemeinsam entwickelt die Gruppe alternative Handlungsmöglichkeiten, die in Rollenspielen ausprobiert werden. In der Abschlussveranstaltung erfolgen eine Auswertung des Trainings sowie ein Feedback an die Teilnehmer und ihr Verhalten in der Gruppe. Die Jugendlichen benennen jeweils zwei gute Eigenschaften, die sie an sich selbst wahrnehmen, und zwei weitere, die sie als verbesserungsbedürftig einstufen.
    Ich halte eine solche Vorgehensweise für insgesamt klug und effektiv, ohne den Erfolg messen zu können. Eine Evaluierung der Maßnahme hat hier, wie auch beim überwiegenden Teil der anderen Einrichtungen (soweit ich weiß) bislang nicht stattgefunden.
    Hut ab übrigens vor den Mitarbeitern und Schande über die Verantwortlichen, die es zu vertreten haben, dass die Räumlichkeiten der „Warthe 60" in einem teilweise baufälligen Zustand sind. Dazu gehören nackte

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