Das Ende der Geduld
Ziegelsteinwände, defekte Computer sowie ein Riesenloch in der Küchendecke. Das Sofa, auf dem ich saß, hatte eine arabische Mutter gespendet; ebenso wie die meisten Arbeitsmaterialien stammt auch die kleine Holzbühne aus freiwilligen Zuwendungen. Wenn man bedenkt, dass abgesehen von den dargestellten Trainings hier freie Kinder- und Jugendarbeit stattfindet, also täglich von 16.00 Uhr bis 19.00 Uhr Freizeitgestaltung für gefährdete junge Menschen durchgeführt wird, muss die Frage erlaubt sein, was die Gesellschaft zu einer derartigen Vernachlässigung dieses Bereiches veranlasst, während in andere Projekte unkontrolliert Millionenbeträge investiert werden.
Ein weiterer bedeutsamer Träger für die jugendrichterliche Tätigkeit ist die „Integrationshilfe Berlin". Sie agiert in ganz Berlin. Hier werden zahlreiche richterliche Maßnahmen umgesetzt. Dazu zählen die bereits erwähnten Arbeitsweisungen, Anti-Gewalt-Kurse, soziale Trainingskurse und Beratungsgespräche. Die Integrationshilfe ist kein „Projekt" im eigentlichen Sinne, das jederzeit wieder von der Bildfläche verschwinden kann, sondern besteht bereits seit 1981. Dennoch flechte ich die Arbeit des Vereins an dieser Stelle ein, denn an die Struktur und Erfolge des Trägers knüpft sich die Wirksamkeit vieler Urteilssprüche, da es sich um eine große Einrichtung mit breitem Angebot und gesicherter Finanzierung handelt. Bei den Arbeitsleistungen ist zu unterscheiden zwischen denjenigen, die pädagogisch betreut werden, und denen, wo „nur" gearbeitet werden soll. Ein wichtiger Unterschied. Im erstgenannten Bereich kann der junge Mensch sich in der bereits angesprochenen Fahrradwerkstatt, in der Glasgruppe (Tiffany), in Kreativ- und Hauswirtschaftsgruppen oder in der Holzwerkstatt betätigen. Bei diesen Angeboten ist der normale Bürger oft geschockt, sollte man doch denken: Wenn schon eine Arbeitsweisung erteilt wird, dann mag auch die Arbeit der entscheidende Faktor sein. Die genannten Bereiche scheinen allerdings mehr im Bereich der Freizeitgestaltung zu liegen. Das denke auch ich manchmal. Aber wenn man sich näher mit der Idee befasst, die dahintersteht, leuchtet einem der Ansatz ein. Viele der Straftäter leben völlig unstrukturiert in den Tag hinein. Sie haben es nicht gelernt, sich überhaupt mit einer Aufgabe mehrere Stunden lang auseinanderzusetzen. Mit einer auch die Kreativität berücksichtigenden Beschäftigung soll der junge Mensch an Kontinuität und Beharrlichkeit herangeführt werden. Zugleich ermöglicht es die Arbeit in der Gruppe unter Beteiligung von Pädagogen, sich Auseinandersetzungen zu stellen, Konflikte friedlich beizulegen und manchmal auch gesprächsweise die Straftat und die Gerichtsverhandlung aufzuarbeiten.
Die Ziele der Anti-Gewalt-Maßnahmen sind erfreulich differenziert. Es wird danach unterschieden, ob in der allgemeinen Entwicklung des Täters schwache oder stark ausgeprägte Auffälligkeiten erkennbar sind und wie erheblich sich die Gewaltanwendung darstellte. Je nachdem, wie sich die Analyse nach Vorgesprächen und anderen Erkenntnissen gestaltet, werden die Maßnahmen angeboten. Ziel eines Anti-Gewalt-Kurses ist es vorrangig, sich mit der Straftat auseinanderzusetzen und Handlungsalternativen in Konfliktsituationen einzuüben. Hierfür sind insgesamt 18 Stunden vorgesehen. Die Teilnehmerzahl beträgt 6-12 Personen. In Betracht kommen hierfür also nur Täter, die wegen leichter bis mittlerer Gewaltdelikte aufgefallen sind. Da der Träger in der Lage ist, mehrere Kurse parallel zu veranstalten, können die Gruppen nach Alter, Nationalität und Geschlecht unterschiedlich zusammengestellt werden. Darüber hinaus ist ein Einstieg jederzeit möglich. Das AntiGewalt-Training, das auch als „sozialer Trainingskurs" bezeichnet wird, ist für Jugendliche und Heranwachsende gedacht, die wegen mehrfacher oder schwerer Gewaltdelikte verurteilt worden sind. Es dauert etwa vier Monate, wobei vier Einzelgespräche stattfinden und 13 Trainingsschwerpunkte durchlaufen werden. Die Teilnehmer sollen mit ihrer Tat konfrontiert werden und lernen, Gewaltsituationen frühzeitig zu erkennen, ihnen auszuweichen oder unvermeidliche Konflikte friedlich zu lösen. Die eigene soziale und familiäre Entwicklung soll betrachtet, Interessen erkannt und benannt, Ziele entwickelt und die Möglichkeit der Realisierung eingeschätzt werden. Je nach Art der Straftatentwicklung, der Motivation und der persönlichen Situation des Jugendlichen
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