Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Geduld

Das Ende der Geduld

Titel: Das Ende der Geduld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Heisig
Vom Netzwerk:
Dankenswerterweise hat der Leiter der Berliner Staatsanwaltschaft, Dr. Andreas Behm, die Attraktivität des Gedankens sofort erkannt und von sich aus einen Oberstaatsanwalt bestimmt, der für diese Verfahren in Neukölln-Nord zuständig sein soll. Die Beamten der Polizeiabschnitte müssen nur einen Staatsanwalt anrufen, also keine langen Telefonlisten wälzen, um festzustellen, wer innerhalb des riesigen Behördenapparates der Staatsanwaltschaft Berlin wohl für den jeweiligen Fall zuständig sein könnte. Der in diesem Bereich sozusagen zentrale Oberstaatsanwalt wiederum teilt dann einem Kollegen das Verfahren sofort nach dem Eingang zu. Wenn es bei diesem eintrifft, ruft er die zuständige Richterin oder den Richter an. Die Kollegen und ich sind dann vorbereitet, dass noch am selben Tag ein Vorgang mit einer kurzen Sachverhaltsdarstellung und dem formlosen Antrag, ein vereinfachtes Jugendverfahren durchzuführen, eingehen kann. Die Richter sind infolgedessen in der Lage, ein übersichtliches Tatgeschehen an einem ihrer nächsten Sitzungstage „mitzuverhandeln" Wie gesagt: Es kommen nur relativ unstreitige Fälle in Betracht. Diese nehmen maximal eine Dreiviertelstunde Verhandlungsdauer in Anspruch.
    Der Gesetzgeber hat diese Verfahren auf Jugendliche beschränkt. Außerdem darf noch nicht die Verhängung von Jugendstrafe im Raum stehen. Alle anderen Maßnahmen von einer richterlichen Ermahnung bis hin zum vierwöchigen Dauerarrest sind dagegen zulässig. Wir wollen mit dieser Verfahrensart die gerade strafmündig gewordenen Täter erreichen, die beginnen, die „Muskeln spielen" zu lassen, und gar nicht erst lernen sollen, dass staatliche Reaktionen meist unendlich auf sich warten lassen. Das kennen sie nämlich häufig schon aus anderen Situationen und verhalten sich entsprechend, wie wir es am Beispiel des mangelnden Schulbesuchs feststellen durften. Auch gibt es oft entsprechende Erfahrungen innerhalb der betreffenden Familie und im Freundeskreis mit der für sie erfreulichen Langsamkeit der Systeme.
    Mir wird von Kritikern der beschleunigten Verfahrensabläufe häufig entgegengehalten, die Rechte der Angeklagten und ihrer Verteidiger seien eingeschränkt, wenn alles so schnell geht. Das ist Unsinn. Wenn sich ein Anwalt meldet, bekommt er Akteneinsicht und ausreichend Zeit, sich mit seinem Mandanten zu besprechen. Er wird selbstverständlich auch zur Hauptverhandlung geladen. Ich erwarte allerdings auch von den Strafverteidigern, die sich oft über die lange Verfahrensdauer beklagen, dass sie „mitziehen", wenn der Sachverhalt eindeutig ist, z. B. deshalb, weil der Angeklagte bereits geständige Angaben gemacht hat. Falls sich die Beweislage im Termin jedoch komplizierter als zunächst angenommen darstellt, wird das Verfahren bis zur endgültigen Aufklärung der Tat mit der rechtsstaatlich gebotenen Sorgfalt notfalls auch über mehrere Wochen fortgesetzt.
    Ein weiterer Verfahrensbeteiligter ist, wie bereits erwähnt, die Jugendgerichtshilfe. Auch hier konnte ein regional zuständiger Mitarbeiter dafür gewonnen werden, die beschleunigten Verfahren allein zu bearbeiten. Er erhält von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft Kenntnis von der Einleitung des Verfahrens und sollte dann ebenfalls rasch reagieren. Da zwischen der Tat und der Hauptverhandlung jedoch immer noch mindestens drei bis sechs Wochen liegen, ist der erfahrene Mitarbeiter ohne Weiteres in der Lage, in dieser Zeit den familiären und sonstigen sozialen Hintergrund des Angeklagten zu ermitteln und einen pädagogischen Vorschlag zu erarbeiten.
    Was unterscheidet nun ein beschleunigtes, vereinfachtes Verfahren, abgesehen von den verkürzten zeitlichen Abläufen, von den „normalen" Verfahren? Im oben dargestellten Beispielsfall kann ernsthaft kein Zweifel bestehen, dass hier eine beschleunigte Bearbeitung sinnvoll ist. Der Täter ist in der Hauptverhandlung kurz nach der Tat emotional noch dicht am Erlebten. Er kann sich damit anders auseinandersetzen, als wenn bereits ein halbes Jahr vergangen ist: Das ist im Leben eines 14-Jährigen ein beachtlicher Zeitraum. Da hatte er inzwischen zwei neue Freundinnen, hat einmal die Schule gewechselt und noch ein paar weitere kleine Straftaten begangen, frei nach dem Motto: „Welche Bushaltestelle meinen Sie denn, Frau Richterin?" Besonders deutlich kommt die innerliche Nähe zum Geschehenen bei Taten zum Ausdruck, die ein individuelles Opfer haben. So verhält es sich häufiger bei Beleidigungen innerhalb

Weitere Kostenlose Bücher