Das Ende der Geduld
wieder öffentlich aufmerksam machte, nahm ich wahr, dass meine Ansichten zwar angeregte Diskussionen auslösten, aber in der Praxis leider nichts geschah. Mein Geduldsfaden riss irgendwann und ich begann mir Gedanken darüber zu machen, was ich selbst beitragen könnte. Praktisch, nicht rechtstheoretisch!
. Was fällt bei der richterlichen und auch staatsanwaltlichen Tätigkeit am stärksten negativ auf? Zwei Aspekte: Zum einen verstreicht zu viel Zeit von der Tatbegehung bis zur Hauptverhandlung. Selbst in einfach gelagerten Fällen vergehen nicht selten sechs Monate, bis es zur Verhandlung kommt. Nun sollen wir ja pädagogisch sinnvoll arbeiten. Denkt man an seine eigenen Kinder, gelangt man zum einen auch bei mäßigem Fachwissen zu der Erkenntnis, dass ein Fernsehverbot drei Wochen nach dem verspäteten Nachhausekommen nichts mehr bringt. Das gilt im Prinzip auch für jugendliche Straftäter. Die Verfahrensdauer muss also verkürzt werden. Zum anderen stellt man fest, dass systemübergreifend zu wenig kommuniziert wird und dadurch wichtige Informationen verloren gehen. Wenn kleinere Einheiten, z.B. zwischen Polizei, Jugendamt, Schule, Staatsanwaltschaft und Richtern, gebildet würden, könnte effektiver gearbeitet werden. Man sollte also mehr Hand in Hand agieren. Das erhöht den Informationsfluss und das Arbeitstempo, verbessert die Erkenntnislage und sollte schließlich in eine dem Jugendlichen hilfreiche erzieherische Maßnahme münden.
Ein Richterkollege und ich begannen also, unsere eigenen Zuständigkeiten zu beleuchten. Jugendrichter arbeiten, wie bereits gesagt, regionalisiert: Einem Bezirk wird je nach der Anzahl der zu bearbeitenden Strafverfahren dieser Region eine bestimmte Anzahl von Jugendrichtern zugeteilt. Im Laufe der Jahre haben sich viele Jugendrichterkollegen in bestimmten Bezirken oder Kiezen etabliert. Sie sind dort den Polizeidienststellen, den Jugendämtern und Schulen bekannt. Das ist auch gut so, denn so sprechen sich die „Preise", die bei einem Richter im Durchschnitt für bestimmte Taten gelten, herum. Der Jugendliche hört bei der polizeilichen Vernehmung oder beim Termin mit der Jugendgerichtshilfe, was ihn ungefähr erwartet. In Berlin-Neukölln hatte sich, wie wir feststellten, mit der Zeit eine gewisse Zersplitterung der Zuständigkeiten ergeben. Diese kommt zustande, wenn am Ende des Jahres ausgewertet wird, welcher Richter wie viele Verfahren bearbeitet hat. Wenn sich Schieflagen bei der Arbeitsbelastung ergeben, muss dies ausgeglichen werden. Dann werden innerhalb eines Bereiches einzelne Straßen oder Postzustellbezirke umverteilt. Auf diese Weise kann es passieren, dass in einem eigentlich übersichtlichen Stadtteil plötzlich viele unterschiedliche Richter zuständig sind. Dann hat das Regionalisierungsprinzip ein wenig an Sinn verloren. Deshalb haben wir uns bemüht, dem Präsidium des Gerichts, das letztlich über die Zuständigkeiten einzelner Abteilungen entscheidet, einen neuen Vorschlag zu unterbreiten. Das Prinzip: Wir haben uns den jeweiligen Zuschnitt der Polizeiabschnitte angesehen und versucht, auch die regional zuständigen Abteilungen der Jugendgerichtshilfe in unsere Überlegungen einzubeziehen. Auf diese Weise kamen wir speziell für das problematische Nord-Neukölln zu einer Verteilung der Zuständigkeit derart, dass drei Richter für zwei Polizeiabschnitte und zwei Bereiche des Jugendamtes zuständig sind. Hiermit war Nord-Neukölln, das besonders kriminalitätsbelastet ist, abgedeckt. Bezogen auf meine Person hieß das: Ich wurde im Großen und Ganzen die allein zuständige Richterin für den Zuständigkeitsbereich eines bestimmten Polizeiabschnittes. Das Präsidium des Amtsgerichts hat dem Neuschnitt zugestimmt, worüber ich bis heute froh und dankbar bin, denn es taucht auch immer wieder das Gerücht auf, man könne für die Jugendrichter generell einen „Turnus" einführen. Danach bekämen dann alle Richter innerhalb „ihres" Bezirkes in einem anonymisierten Verteilungsverfahren die gleiche Anzahl Akten. Eine Bezogenheit zu einem Kiez wäre damit eingeschränkt.
Die Zuständigkeit einer Richterin oder eines Richters für eine festgelegte Region allein wirkt sich bezüglich der wünschenswerten Beschleunigung in Jugendstrafverfahren nicht in jedem Verfahren aus.
Ich habe bereits gezeigt, dass man auf die Dauer eines Großverfahrens kaum Einfluss hat. Wenn der Angeklagte schweigt, müssen die Beweismittel für zahlreiche Taten von der Polizei
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