Das Ende der Geschichten (German Edition)
Herrgott nochmal! Oh, Meg, was soll ich denn jetzt bloß machen? Ich wäre sowieso nicht mit dem Wagen zu dir gefahren, es sind ja nur fünf Minuten zu Fuß. Ich glaube, ich kriege das alles nicht zusammen.» Sie sah mich stirnrunzelnd an. «Komm schon. Du bist doch Autorin. Du weißt, wie man Handlungen konstruiert.»
Ich musste fast lachen. «Na klar. Und du liest Bücher. Da wirst du doch wohl auch noch eine Handlung konstruieren können.»
«Ja, aber du lebst davon. Und unterrichtest es auch noch.»
«Ja, schon, aber …»
«Was ist hier die richtige Schablone ?»
Schablonen , wie man sie als Kind zum Zeichnen benutzte. Libby hatte schon recht – die waren meine Spezialität. Nachdem ich 1997 einen Kurzgeschichtenwettbewerb gewonnen hatte, wurde mir ein Vertrag für ein bahnbrechendes, ernsthaftes literarisches Debüt angeboten: die Sorte Roman, die noch mehr Preise abräumen und in jeder Buchhandlung im Schaufenster liegen würde. Doch den Großteil der elf Jahre seither hatte ich damit verbracht, Genreromane zu schreiben, weil sich damit leichtes Geld verdienen ließ und es schließlich immer Miete und Rechnungen zu bezahlen und Lebensmittel einzukaufen gab. Für meinen literarischen Roman hatte ich damals einen Vorschuss von eintausend Pfund bekommen, doch anstatt damit meine Schulden abzuzahlen, hatte ich mir ein Notebook, einen schönen Füller und etliche Notizbücher gekauft. Und als ich gerade an der Gliederung gesessen hatte, rief mich Claudia vom Verlag Orb Books an und bot mir zweitausend Pfund, wenn ich ihr innerhalb von sechs Wochen einen Thriller für Jugendliche schrieb. Zeb Ross, der offizielle Autor dieser Reihe, musste vier Romane im Jahr veröffentlichen, doch in Wirklichkeit gab es ihn gar nicht, und Claudia war ständig auf der Suche nach neuen Ghostwritern. Es war keine Frage: Ich würde mein Einkommen verdoppeln und anschließend meinen eigentlichen Roman schreiben. Doch ich hatte noch keine zwei Kapitel des eigentlichen Romans geschrieben, da wurde mir klar, dass ich erst noch einen weiteren Zeb-Ross-Roman würde schreiben müssen und dann noch einen. Zwei Jahre später erweiterte ich mein Programm und schrieb eine Reihe von vier Science-Fiction-Romanen unter meinem eigenen Namen, die alle an einem Ort namens Newtopia spielten. Meinen «richtigen» Roman wollte ich natürlich immer noch zu Ende schreiben, aber alle Anzeichen sprachen dafür, dass das nie passieren würde, selbst wenn ich bis ans Ende aller Zeit weiterlebte. Falls Kelsey Newman recht behielt und der Omegapunkt am Ende des Universums auch alle potenziellen Menschen zum Leben erweckte, müsste eigentlich Zeb Ross einer von ihnen sein. Dann könnte er seine eigenen Bücher schreiben. Aber ich müsste wahrscheinlich immer noch irgendwo meine Miete herkriegen.
Ich seufzte. «Weißt du, wenn du ein Buch planst, kannst du immer wieder zurückgehen und Handlungselemente verändern, die nicht funktionieren, damit am Ende alles schön zusammenpasst. Du kannst Absätze löschen, einzelne Seiten oder ein ganzes Manuskript. Aber hier kann ich schlecht zurückgehen und dich mit dem Bus zu Mark fahren lassen, was sicherlich die beste Lösung wäre.»
«Inwiefern?»
Ich zuckte die Achseln. «Was weiß ich? Immerhin könntest du dann zu Fuß zu mir gekommen sein, den Schlüssel verloren und dein Handy bei mir gelassen haben – so, wie du gesagt hast.»
«Und warum hätte ich dann meinen Weekender dabei?»
«Tja. Das weiß ich allerdings auch nicht.»
«Es muss eine Lösung geben. Fangen wir nochmal ganz von vorne an. Wie erzählt man eine richtig gute Geschichte? Also, in der Kurzfassung.»
Ich schaute auf die Uhr. Christopher fragte sich wahrscheinlich schon, wo ich blieb.
«Wartet Bob nicht auf dich?»
«Wenn ich das hier nicht richtig hinkriege, hat es sich so oder so ausgebobt», erwiderte Libby.
«Na gut. Halt es schlicht. Bau deine Geschichte auf Ursache und Wirkung auf. Du brauchst ein Drei-Akte-Modell.»
«Drei Akte?»
«Einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Problem, Steigerung, Lösung. Die verbindest du dann miteinander. Jemand nimmt das falsche Schiff, dann sinkt es, und man sorgt dafür, dass er sich retten kann. Im übertragenen Sinn natürlich. Du brauchst ein Problem, das du dann schlimmer werden lässt und es schließlich auflöst. Außer natürlich, es handelt sich um eine Tragödie.»
«Und was, wenn das hier eine Tragödie ist?»
«Libby …»
«Schon gut. Dann war ich also mit dir was trinken
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