Das Ende der Geschichten (German Edition)
unten ging, überlegte ich mir unterwegs, was ich sagen sollte, aber dann malte ich mir aus, wie Christopher darauf reagieren würde, und ließ es bleiben. Doch diesmal sagte ich: «Stell dir vor –», und Christopher, der immer noch wie ein Besessener sägte, als hätte er den Kopf seines Bruders vor sich oder vielleicht auch den von Milly, fiel mir sogleich ins Wort: «Babe, du weißt doch, ich kann es nicht leiden, wenn du ein Gespräch so anfängst.» Ich entschuldigte mich, aber als er mich bat, ein Stück Holz für ihn festzuhalten, erwiderte ich, ich müsse mit dem Hund raus.
«Sie war seit Stunden nicht mehr Gassi», erklärte ich. «Und es wird bald dunkel.»
Bess wälzte sich in der Diele auf ihrem Kauknochen herum.
«Warst du nicht vorhin erst mit ihr spazieren?», fragte Christopher.
Ich zog meinen Anorak an, nahm meinen roten Wollschal und ging ohne ein weiteres Wort. Ich drehte mich nicht einmal mehr um, als ich hörte, wie sich der Inhalt von Christophers Nagelkiste auf den Boden ergoss, obwohl ich wusste, eigentlich hätte ich das tun sollen.
***
Wie überlebt man das Ende der Zeit? Ganz einfach. Wenn das Universum erst einmal so alt und schwach ist, dass es in sich zusammenbricht, sind die Menschen längst so weit, dass sie mit ihm machen können, was sie wollen. Sie hatten ja Milliarden von Jahren Zeit zum Lernen, und es gibt keine strenge Hausmutter mehr, keine liberale Tageszeitung und keine Unheil verkündenden Kirchenlieder, die sie von irgendetwas abhalten würden. Zu dem Zeitpunkt wird es nur noch darum gehen, den einen baufälligen Planeten im Universum beiseitezuräumen, während ein anderer traurig in die Nachbargalaxie hinübertröpfelt. Und so erwartet man dann den letzten Knall, bei dem alles mit allem verschmilzt und das Universum seinen malerischen Zusammenbruch antritt und so lange keucht und schwitzt, bis alles Leben in hohem Bogen aus ihm herausschießt und alle bestehende Materie zu einem einzigen Punkt zusammengepresst wird und schließlich verschwindet. Mit dem kaum hörbaren letzten Röcheln des sterbenden Universums, dem letzten Seufzer seines finalen Orgasmus, werden aller Schleim und Eiter und alle stinkenden Säfte zu reiner Energie, die einen einzigen Augenblick lang zu allem nur Denkbaren fähig ist. Eigentlich wusste ich gar nicht genau, wieso ich überhaupt in Erwägung gezogen hatte, Christopher das alles zu erklären. Einmal hatte er mich schon zum Weinen gebracht, weil er sich weigerte, die Existenz von Raumdimensionen anzuerkennen; und ein anderes Mal hatten wir uns fürchterlich gestritten, weil er sich das Diagramm, mit dem ich den Satz des Pythagoras bewies, nicht einmal ansehen wollte. Die Bücher, die ich rezensierte, fand Christopher – wie er sich ausdrückte – «viel zu abgehoben, Babe». Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was er zu dem aktuellen sagen würde, das einem komplett den Kopf platzen ließ.
Kelsey Newman zufolge wird sich das Universum, das immer schon ein einziger großer Rechner war, einen Augenblick lang – oder noch kürzer – so sehr verdichten und so viel Energie entwickeln, dass es in der Lage ist, absolut alles zu verarbeiten. Da liegt es doch nahe, es kurzerhand darauf zu programmieren, dass es ein zweites Universum simuliert, ein neues, das niemals enden wird und in dem jeder bis in alle Ewigkeit glücklich leben kann. Dieser Augenblick ist der sogenannte «Omegapunkt», und weil er die Macht besitzt, alles in sich zu enthalten, ist er von Gott nicht mehr zu unterscheiden. Und doch wird er anders sein als Gott, denn er speist sich aus einem Treibstoff namens Energeia . Während das Universum auf seinen Zusammenbruch zusteuert, wird also niemand Gedichte darüber schreiben oder ein letztes Mal Sex haben oder auch nur zugedröhnt und teilnahmslos herumhängen, den Untergang erwarten und sich all die Schönheit und Unergründlichkeit auf der anderen Seite ausmalen. Nein, alle werden gemeinsam anpacken für das ultimative Ziel: überleben. Nur durch Physik und die Arbeit ihrer bloßen Hände wird es der Menschheit gelingen, den Omegapunkt zu bauen, der kraft seiner unendlichen Macht in der Lage und aus diversen Gründen auch absolut willens ist, jeden – ja, auch dich! – Milliarden Jahre nach dem Tod wieder zum Leben zu erwecken. Er wird jeden Einzelnen lieben und den Himmel auf Erden erschaffen. Am Ende des Universums ist also alles möglich. Nur eines nicht.
Man wird nie wieder sterben können.
Normalerweise
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