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Das Ende der Liebe

Das Ende der Liebe

Titel: Das Ende der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Hillenkamp
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nur ein Ziel sein kann – und ewig bleiben muss.
    Die freien Menschen könnten nur dann eine Privatsphäre erschaffen, wenn sie sich für irgendetwas unwiderruflich entscheiden könnten: wenn sie sich für eine Stadt, ein Land, Freunde, die Eltern, einen Partner unwiderruflich entscheiden könnten.
    Menschen, die sich nicht entscheiden können, die ihre Entscheidungen permanent in Frage stellen, haben keine Privatsphäre. Wer im Unentschiedenen bleibt, bleibt im Öffentlichen. Der entscheidungsunfähige Mensch ist der öffentliche Mensch.
    In seinen Träumen irrt er allein durch fremde Städte. Er wird von Unbekannten ausgelacht und misshandelt. Die [135] freien Menschen sind Obdachlose. Sie leben, wie einst nur die Stars, ausschließlich in der Öffentlichkeit. Sie sind dem Druck der Gesellschaft immer und unmittelbar ausgeliefert, nicht mehr den alten gesellschaftlichen Zwängen, sondern den sogenannten »eigenen« Leistungsmöglichkeiten und Verantwortlichkeiten, das heißt: der Last der Freiheit, der Sehnsucht und Scham.
    Warum können die Menschen ihre Suche nicht mehr abschließen? Warum ist es ihnen unmöglich geworden zu wählen, also: aus ihrer Suche herausfinden, in eine Privatsphäre?
    Menschen wollen stets – unter Berücksichtigung der existierenden Beschränkungen – ihre Lage verbessern, für sich die beste Wahl treffen. Doch wenn alle Beschränkungen verschwinden, es unendliche Möglichkeiten gibt, geht ihre Suche in die Leere, ist keine Wahl die beste Wahl. Die beste Wahl ist dann, seine Suche nie zu beenden, endlos zu suchen.
    Die freien Menschen nehmen keine Auswahl, die sich ihnen bietet, als endgültig hin. Tiere stellen eine Auswahl möglicher Partner, die sie vor Augen haben, nicht in Frage. Sie überschreiten diese nicht durch eine Suche an einem anderen Ort, schieben ihre Wahl nicht bis zum nächsten Jahr auf, in der Hoffnung, die Auswahl werde dann eine bessere sein. Menschen aber können wählen, weiter zu suchen . Die freien Menschen wissen, dass sie in ihrer Wahl nicht mehr beschränkt sind auf ihre Kreise, ihr Milieu. Denn sie haben unendliche Bewegungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Sie können jeden Kreis überschreiten.
    Ein Mensch, der nie weiß, nie wissen kann, wo sein endgültiger Platz in der Gesellschaft ist, welche Schicht die seine ist, welche Gehalts- und Berühmtheitsgruppe, welcher Heilungs- und Erleuchtungsgrad, welche Stadt und welches Land, der [136] kann seine Suche nicht abschließen, sondern muss denken, dass seine Entwicklung, die gesellschaftlich-berufliche wie die therapeutisch-spirituelle, ihn womöglich noch in Gefilde und Sphären führen werde, in denen die Auswahl eine bessere sei, dass also jede Wahl unter den jetzigen Voraussetzungen eine voreilige, katastrophale sein müsse, es vielmehr gelte, abzuwarten und die eigene Entwicklung voranzutreiben.
    Es ist also nicht die Weigerung, erwachsen zu werden , die die Menschen daran hindert, eine Wahl zu treffen. Es gehört zum evolutionären Programm vieler partnerwählender Säugetiere, die Entscheidung für einen Partner so lange wie möglich hinauszuzögern. Das Sprödigkeitsverhalten , wie Tierforscher sagen, also Warten auf etwas Besseres, ist durchaus vernünftig. Wenn es sich ins Unendliche verlängert, so deshalb, weil die Welt unendlich geworden ist. Es entspricht der Logik einer Welt, die das menschliche Maß überschritten hat – und damit die menschliche Logik ad absurdum, beziehungsweise ad infinitum führt. Die freien Menschen existieren in einem tückisch entgrenzten Lebensraum, der ihr evolutionäres Programm überfordert und austrickst.
    So einfach hatte die Liebe einst die Auswahl überwunden – durch Überblick. Vielmehr: durch das Gefühl des Menschen, seine Möglichkeiten absehen zu können. Der Mensch hatte den Eindruck, in seinem – räumlich und zeitlich begrenzten – Radius den für sich Besten gefunden zu haben. Liebe war nichts als ein Gespür für Grenzen. Wenn die Grenzen aber verschwimmen und verschwinden, geht das Gespür der Liebe in die Leere. Es spürt in die Unendlichkeit.
    Die Geschichte des Don Juan ist heute in mehrfacher Hinsicht überholt. Erstens wird, da auch die Frauen die Unendlichkeit möglicher Partner suchen, die Eroberung ersetzt [137] durch Einvernehmen, das Ineinanderfallen. Betrug und Verrat weichen dem Einverständnis der Frauen und Männer zum sofortigen Sex, zum Wählen und Gewähltwerden, Sammeln und Gesammeltwerden, zu Untreue und Unbeständigkeit.

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