Das Ende der Liebe
schmachten sogar noch mehr, denn sie rechnen sich Chancen aus.
Nur eines ist schlimmer, als hässlich zu sein – gut auszusehen, also Chancen zu haben. Nur eines ist schlimmer als uninteressant zu sein – interessant zu sein. Nur eines ist schlimmer, als keine Chance zu haben – alle Chancen zu haben.
Die sogenannten Verlierer haben aber ebenfalls nicht das Glück, ihre Illusionen zu verlieren. Zum einen fantasieren sie von der Unendlichkeit möglicher Partner genau wie die sogenannten Gewinner. Sie wählen zwar nur mit den Augen, im Geiste, aber mit den Augen, im Geiste, weisen sie jede Wahl zurück, die ihnen nicht als die bestmögliche erscheint. Je tiefer ihre Selbstachtung gesunken ist, umso wählerischer sind sie; je wählerischer sie werden, desto häufiger werden sie erniedrigt, da sie nicht bekommen, was sie gewählt haben.
[140] Wie die Gewinner leiden sie jedoch auch an ihrer Hoffnung. Zu viele Menschen sind in Bewegung, um noch an begrenzte Möglichkeiten zu glauben. Jeder kann sich sagen: Einmal kommt einer, der allen Idealen entspricht, der mich begehrt, liebt, obwohl ich selbst nicht allen Idealen entspreche. Unbegrenzte Möglichkeiten heißt: Jeder meint, finden zu können, wenn er nur lang genug sucht, lang genug an sich selbst – als dem Instrument seiner Suche – arbeitet.
Kein Partner symbolisiert mehr die Möglichkeiten der Menschen – nur der Nicht-Partner, der begehrte Dritte . Das kann eine Zeitlang derselbe sein oder in jedem Augenblick ein anderer.
Tatsächlich wechseln die Suchenden jetzt nicht nur permanent, im Geiste oder tatsächlich, durch Untreue oder Trennung, den Partner, sondern auch, im Geist oder tatsächlich, permanent den Dritten. Sie spüren schon in dem, den sie noch gar nicht gewählt haben, die Begrenzung ihrer Möglichkeiten.
Sie können jetzt so gut suchen, dass sie nicht mehr finden können. Das Potenzial der Suche übersteigt jedes Resultat. Kein möglicher Partner kann die unendlichen Möglichkeiten symbolisieren, nur die Bewegung selbst symbolisiert sie, kein Partner, nur der Partnerwechsel , kein Verweilender, nur der Passant, die flüchtige Begegnung, die flüchtige Fantasie einer Begegnung.
Ein Mann mittleren Alters, geschieden, drei Kinder, sagt über seine Partnersuche im Internet: »Ich bezeichne meine Erfahrung mit der Partnersuche im Internet als negativ, weil ich gemerkt habe, dass ich in eine Situation reinschlitterte, wo ich total darauf abgefahren bin und ein Suchtverhalten entwickelt habe; ich konnte nicht mehr gut schlafen, dermaßen [141] war ich aufs Suchen fixiert. Stets war ich in der Freizeit im Netz (während der Arbeit kann ich mir das nicht leisten!); ich bin jeweils nach Hause gekommen, habe sofort den PC eingeschaltet, dann wieder was anderes gemacht, zurück zum PC, immer wieder ging ich im Netz schauen. Wenn ich nicht schauen konnte, weil der Sohn zu Hause war, fühlte ich mich leer und auch lustlos. Ich wusste nicht, was machen, die Zeit ist nicht schnell vergangen. Ich hatte weniger Appetit, ich hatte keine Lust auszugehen. Lesen, Musik hören habe ich massiv reduziert auf Grund dieses Triebs, ins Internet zu gehen. Ich habe auch Schlafstörungen entwickelt, am Morgen bin ich sehr früh aufgewacht, habe sofort ins Internet geschaut, ob eine Reaktion gekommen ist, die mich anspricht, das hat meine Lebensqualität massiv eingeschränkt. Ich bin in eine Hektik hineingekommen – was ist jetzt, was finde ich …? Das Suchen löste eine enorme Unruhe aus, der ich mit noch mehr Suchen begegnete, und wenn Du schließlich eine Antwort hast, bist Du einen Moment lang befriedigt, dann ist es aber gleich wieder vorbei, und es kommt das nächste Suchen … Eigentlich müsste das bereits Gefundene Dich so erfüllen, dass Du sagst: ›Das ist mein Partner! Nun ist’s fertig, Austritt.‹ Ich wundere mich, wie viele so zufrieden sind, dass sie aussteigen, verglichen mit denjenigen, die immer weiter suchen. Der eine Kollege, den ich gefunden habe, ist auch wahnsinnig viel im Internet, am Suchen. Zwei-, dreimal pro Tag.«
Sucht ist eine Methode, etwas so intensiv wie möglich zu tun. Sucht dient der Steigerung, der Effizienz. Keiner arbeitet so viel wie der Arbeitssüchtige. Keiner sucht so flächendeckend wie der, dessen Suche zur Sucht erweitert und entgrenzt ist. Indem die Menschen einen zu Liebenden systematisch suchen, sie ihre Auswahl immer wieder durch Entwicklung [142] überschreiten, ihre Suche als Sucht maximieren, machen sie aus
Weitere Kostenlose Bücher