Das Ende der Nacht: Horror-Roman
endlich, laut und erlösend:
„Lass uns gehen, Tini! Wir müssen deine Eltern finden!“
Christina schrie auf, als die Farbe aus den Spiralen an ihrem Arm entlang kroch, sich über ihren Brustkorb hinunter zu den Beinen ausbreitete. Als Michelle begriff, dass ihre Freundin langsam verschluckt wurde, war es zu spät.
„Ich kann nicht loslassen, Michelle! Hilf miiiiiiii....“
Der Wirbelsturm zog an Christinas Kopf und verschluckte ihn. Kurz nur zappelte der Rest ihres Körpers orientierungslos, aus der Wunde am Hals Blut verspritzend, bis auch er eingesogen wurde. Dann war Michelles Freundin verschwunden.
II
Einige Sekunden lang stand Michelle regungslos auf der Straße. Eine Blutlache glitzerte inmitten der nassen Fahrbahn. Und wieder und wieder tauchte der Name ihrer besten Freundin vor ihr auf: Christina. Es war endgültig. Sie war weg und Michelle würde sie nie wieder sehen. Warum nur tat es nicht weh? Es kam ihr so vor, als wäre die Trauer über den Verlust irgendwo tief in ihr vergraben, und auch der Schock und Ekel über das, was sie gerade gesehen hatte. Es war eine Enthauptung gewesen, verdammt nochmal! Und trotzdem. Nichts. Als hätte sie einen Film geschaut.
Sie starrte auf die Stelle des Wirbelsturms, in der Christina verschwunden war. Allein und verlassen, zwischen ihrem Käfer und diesem Tor – Dimensionstor, dachte sie, so nennt man es doch – war plötzlich kein Gefühl mehr in ihr. Erst als sie sich umdrehte und zum Wagen zurück ging, stellte sie zu ihrer Überraschung fest, dass Tränen ihre Wangen nässten. Sie wischte sich mit dem rechten Handrücken über das Gesicht und stieg wieder ein. Kevin schlief noch immer auf der Rückbank.
Was sollte sie jetzt tun? Wohin sollte sie fahren? Zurück nach Hause? Davon hielt sie nicht viel. In ihrer Wohngemeinschaft, die sie mit drei Mitschülern aus ihrer Abschlussklasse gebildet hatte, gab es seit einiger Zeit nur Streit und Frustration. Das gegenseitige Verständnis, das die vier am Anfang zusammen gebracht hatte, war beinahe gänzlich gewichen. Und wer weiß, ob sie alle nicht auch aggressiv geworden waren. Das konnte übel ausgehen.
"Sind wir wieder zu Hause?"
Kevin war aufgewacht. Michelle konnte es ihm nicht verdenken, dass er die ganze Zeit geschlafen hatte. Er war noch jung und es war schon fast halb sieben.
"Nein, Kevin, wir sind in einem Ort außerhalb von Hamburg. Hier wollten wir eigentlich Christinas Eltern suchen."
Kevin erblickte den Wirbelsturm.
"Was ist das?" fragte er.
"Genau weiß ich das auch nicht. Ich weiß nur, dass es Christina gefressen hat."
„Gefressen?“ Er gähnte, während er das Wort aussprach.
"Ja. Keine Ahnung, ob man das so nennt. Es hat sie geköpft.“ Eine Melancholie schwang in ihrer Stimme mit, über die sie sich freute.
"Was machen wir denn jetzt?"
"Ich denke, wir sollten ihre Eltern finden. Sie brauchen Hilfe. Was meinst du, Kleiner?"
"Ich denke, dass wir das tun sollten. Was meinst du, Benny?"
Nicht schon wieder sein imaginärer Freund, dachte Michelle. Warum musste er immer mit seinem Oberschenkel sprechen? Psychische Störung hin oder her, aber Kevin sah definitiv zu alt aus für so was.
"Benny, was soll das?!“, rief er plötzlich, „du redest schon wieder so böse. Das will ich nicht!"
"Was hat er denn gesagt?", fragte Michelle, während sie den Motor startete.
"Er meinte, dass wir nicht überleben werden. So was sagt man nicht, Benny."
Nein, Benny, dachte sie, so was sagt man nun wirklich nicht. Aber irgendwie glaubte sie ihm. Michelle wendete den Wagen und fuhr die Straße zurück, bis sie rechts einbog, von wo sie hergekommen waren. Das Dämmerlicht tauchte den nassen Asphalt in eine nebelige, unheimliche Brühe. Als gab es keinen Boden mehr und sie fuhren über Wolken. Es muss noch einen anderen Weg zum Gasthof geben, dachte Michelle. Sie bog die nächste Straße wieder rechts ein.
Eine Sackgasse.
An deren Ende hob sich schemenhaft ein schwarzer Schatten vom Hintergrund ab, dunkler und beständiger als das schwache Licht des anbrechenden Tages. Er bewegte sich, ohne dass ein Körper zu ihm gehören würde, als wäre der Schatten aus dem Nichts geboren worden. Er reichte über die Dächer der parkenden Autos und war bestimmt so breit wie sie.
Das Heulen, fuhr es Michelle durch den Kopf. Ich habe das unheimliche Heulen vergessen. Er bewegte sich nicht, schien auf eine Reaktion des Käfers zu lauern. Ganz ruhig, dachte sie, ich werde jetzt einfach den Rückzug
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