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Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Titel: Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schaar
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Strafverfolgungsbehörden die Befugnis ein, im Einzelfall die Herausgabe von Verbindungsdaten zu verlangen. Allerdings lagen diese Daten bei analoger Vermittlungstechnik nur im Ausnahmefall vor. Polizei und Staatsanwaltschaft konnten sich aber beim Fräulein vom Amt erkundigen, mit wem denn ein Verdächtiger telefoniert hatte. Vielleicht konnten sich die Postbediensteten ja noch daran erinnern, welche per Hand vermittelten Verbindungen sie mit dem betreffenden Anschluss hergestellt hatten. Heute, im Zeitalter digitaler Kommunikation, müssen die staatlichen Stellen nur noch auf vorliegende digitale Daten zugreifen und sind nicht mehr auf das Erinnerungsvermögen der Beteiligten angewiesen.
    Seit Mitte der Neunzigerjahre gaben sich Innenpolitiker und Polizeivertreter nicht mehr damit zufrieden, dass die Behörden nur im Einzelfall auf vorhandene Verbindungsdaten zugreifen durften. Sie forderten vielmehr, diese Daten vorsorglich für Zwecke der Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr zu speichern. Noch 1997 lehnte die Bundesregierung unter Helmut Kohl einen entsprechenden Vorstoß des Bundesrats ab, weil eine derartige pauschale Vorratsspeicherung nicht mit der Verfassung vereinbar sei. Erst die geänderte Stimmungslage nach den terroristischen Anschlägen von 2001 in den USA und 2004 in Madrid, als die Attentäter Mobiltelefone zur Fernzündung von Bomben einsetzten, ließ die Ablehnungsfront bröckeln. Auch wenn die Madrider Terroristen anhand der ohnehin gespeicherten Telekommunikationsdaten, also ohne Vorratsspeicherung, ermittelt werden konnten, belegten diese Vorgänge scheinbar, dass eine möglichst weitreichende Speicherung von Telekommunikationsdaten sinnvoll sei. Die Debatte konzentrierte sich in der Folgezeit auf die Frage, ob und wie eine derartige Verpflichtung zur Vorratsspeicherung europaweit durchgesetzt werden könnte, zumal sich in verschiedenen nationalen Parlamenten, auch im Deutschen Bundestag, erheblicher Widerstand abzeichnete. Die Kritik an dem Vorhaben beschränkte sich auch im Übrigen nicht auf die üblichen Verdächtigen aus der Datenschutz- und Bürgerrechtsszene, sondern wurde ebenfalls von der Wirtschaft weitgehend geteilt.
    Alle Appelle blieben erfolglos, denn eine große Koalition der sozialistischen Fraktion und der konservativen Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament billigte schließlich den Kommissionsvorschlag. Auch der Deutsche Bundestag gab im Februar 2006 seine Vorbehalte gegen die Vorratsspeicherung mehrheitlich auf – gegen die Stimmen der drei Oppositionsparteien FDP, PDS und Bündnis 90/Die Grünen sowie einiger Koalitionsabgeordneter. Immerhin wurde bei der Umsetzung der Richtlinie »Augenmaß« angemahnt und eine Orientierung an den Mindestanforderungen gefordert, um die Eingriffe in Grundrechte möglichst gering zu halten. Die im Frühjahr 2006 beschlossene Richtlinie 33 verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten zur Einführung von Mindestspeicherungsfristen für Verkehrsdaten der Telekommunikation und des Internets. Die Speicherungsfristen müssen mindestens ein halbes Jahr und dürfen höchstens zwei Jahre betragen.
    Besonders kritisch ist es, dass die in der EG-Richtlinie vorgesehene enge Zweckbindung an die Verfolgung schwerer Straftaten immer poröser wird. So erlaubt es die Strafprozessordnung, die Daten auch für die Aufklärung solcher Straftaten zu verwenden, die »mittels Telekommunikation begangen« wurden, also auch bei weniger schweren Gesetzesüberschreitungen. Zudem sollen auf Druck der Musikindustrie die Daten auch für die zivilund strafrechtliche Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen genutzt werden (vgl. 4.4).
    Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass die ungeheure Menge der auf Vorrat zu speichernden Daten weitere Begehrlichkeiten wecken wird. Schon haben die Nachrichtendienste ihr Interesse angemeldet, und aus der Wirtschaft werden Forderungen laut, die auf Vorrat gespeicherten Daten für eigene Geschäftszwecke verwenden zu dürfen. Die Befürchtung ist nur allzu berechtigt, dass die Nutzungsmöglichkeiten der ursprünglich für die Bekämpfung des Terrorismus und der Schwerkriminalität gespeicherten Daten Schritt für Schritt ausgeweitet werden, wie es bereits bei der umstrittenen Kontenabfrage geschehen ist (vgl. 3.8).
    Je stärker elektronische Dienste unser Leben bestimmen, desto wichtiger wird der Schutz der Kommunikationsvorgänge. Nicht vergessen werden darf zudem, dass das Fernmeldegeheimnis mit anderen Grundrechten

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