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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heller
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Kollisionen, mindestens eine pro Jahr. Zwischen den Flughäfen gab es keine vorgeschriebenen Kommunikationswege, aber immerhin eine Notfrequenz: 121 , 5 . Wann immer ich mich einem Flughafen nähere, schalte ich den alten Kanal ein. Wenn ich bis auf sieben Kilometer rangekommen bin, mache ich mich bemerkbar. Ich sende ein paar Funksprüche aus.
    Loveland traffic hier Cessna sechs drei drei drei alpha sieben Kilometer südlich auf sechstausend Fuß mit Kurs auf Greeley. Und noch einmal. Ist da jemand? Ich bin der einzige verdammte Flieger hier oben, und wahrscheinlich wird es bis ans Ende aller Zeiten so bleiben. Aber vielleicht wird ja irgendwann in einem anderen Universum noch einmal eine Cessna erfunden. Ha!
    Ich lache. Ich johle. Ziemlich morbide. Jasper wirft mir von der Seite einen peinlich berührten Hundeblick zu.
    Ich besitze einen Gedichtband von William Stafford. Nur deswegen bin ich noch einmal zurückgeflogen: um meine Gedichtsammlung zu holen. Ich bin in einer stromlosen Nacht auf dem alten King-Sooper’s-Parkplatz gelandet, wo jede Reihe aus geparkten Autos mindestens dreihundert Meter lang ist. Nirgendwo brannte ein Licht. Die Flügel glitten über die Karosserien hinweg, nirgendwo ein Laternenmast, der mir hätte gefährlich werden können. Von da waren es nicht mal zwei Kilometer bis zu unserem Haus. Im Süden und Westen Brände, in der Ferne die obligatorischen Schüsse. Ich klemmte mir das AR- 15 zwischen die Beine und wartete eine Weile ab, hielt Ausschau nach irgendwem, der sich in meiner halbstündigen Abwesenheit am Biest zu schaffen machen könnte.
    Ich nahm das Gewehr und joggte um den See, so, wie ich es früher oft gemacht hatte, morgens und abends. Ich bin damals viel gejoggt. Ich ignorierte die gerahmten Fotos auf dem Kaminsims und über der Treppe, ich schaute gar nicht hin, während ich die Bücher in meinen alten Rucksack und in einen Seesack packte, alles nur Lyrik. Ich blätterte in Wir sterben allein , dem ersten Buch, das Melissa mir geschenkt und dessen Titel sich als geradezu prophetisch erwiesen hatte. Der Protagonist war ein norwegischer Soldat, der im letzten gerechten Krieg gekämpft hatte. Er hatte auf Skiern zwei komplette deutsche Divisionen abgehängt und den Krieg überlebt, um als attraktiver, gepflegter Herr mittleren Alters im Rollkragenpullover auf der Rückseite seiner Memoiren zu posieren. Ich habe den Kerl immer beneidet, ein Kriegsheld im rauen Norwegen, der bestimmt eine Jagdhütte oben an einem Fjord hat und mindestens tausend Freunde, die bei ihren Partys zu viel Glühwein oder Aquavit oder was auch immer trinken, und der heute nur noch zum Vergnügen Ski fährt. Der Mann glaubt, die Hölle auf Erden erlebt zu haben, dabei hat er nur ihren Schatten gesehen. Ich blätterte in dem Buch, ohne die Widmung zu lesen, und stellte es ins Regal zurück. Aus und vorbei. Ich hatte beschlossen, nie wieder zu weinen.
    Als ich zurück auf den Parkplatz kam und mich durch die äußeren Autoreihen anschlich, entdeckte ich zwei Gestalten, die sich durch die geöffnete Tür ins Flugzeug beugten. Die eine wollte gerade einsteigen. Ich verfluchte mich selbst für meinen Leichtsinn, entsicherte mit klopfendem Herzen mein Sturmgewehr, richtete mich auf und schrie den beiden zu, sie sollten sich verdammt nochmal verpissen, und als sie zu Jagdgewehr und Schrotflinte griffen, erschoss ich sie aus zwanzig Metern Entfernung. Sie waren die ersten. Für ein paar Gedichte. Ihre Waffen schenkte ich Bangley, ich erklärte mich nicht, obwohl er immer wieder nachbohrte.
    Das Buch von Stafford heißt Geschichten, die wahr sein könnten . Ein Gedicht darin heißt »Die Farm in der Prärie« und fängt so an:
    Eine Telefonleitung wird kalt;
    Vögel darauf, wo immer sie verläuft.
    Eine Farm am Rand der großen Prärie
    zerrt an ihrem Ende der Schnur.
    Ich rufe die Farm jedes Jahr an,
    lasse es klingeln, lausche, immer noch.
    Er ruft seinen Vater an. Und seine Mutter. Sie sind seit Jahren tot, nur ein Summen in der Leitung, aber immer noch ruft er sie an.
    Wenn sich von dem Flughafen, den ich zu überfliegen plane, niemand meldet, gehe ich auf die Notfrequenz und setze pro forma einen Funkspruch ab.
    Mayday Mayday Cessna sechs drei drei drei alpha ich fühl mich so schrecklich allein.
    Im siebten Jahr bekam ich eine Antwort. Ich nahm die Hände vom Steuerknüppel und presste mir die Kopfhörer an die Ohren. Die Härchen an meinen Armen schossen in die Höhe wie statisch aufgeladen.
    Das Rauschen

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