Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte
Manchmal ist er friedlich, aber nicht heute Nacht. Heute Nacht kämpft er um sein Leben.
Jasper liegt nicht an der Leine, sondern über meinem linken Bein; meine Gedanken hingegen versuche ich an der kurzen Leine zu halten. Sie kommen nicht weiter als bis zum grünen Haus, zum Hangar, bis zu einem Jagdausflug im Frühling, wenn die Bären unterwegs sind. Wenn der Hunger sie leichtsinnig macht.
Er schnarcht so wie immer, ein kurzes Schnaufen beim Einatmen und beim Ausatmen eine Art Winseln. Trotz meiner guten Vorsätze erinnere ich mich an den Funkspruch aus Grand Junction. Kam völlig überraschend in meine Frequenz gedonnert wie ein Zug aus dem Schneegestöber, nur um sich dann mit einem langen, wehklagenden Rückkopplungsgeräusch im elektrostatischen Getöse zu verlieren. Drei drei drei alpha. Grand Junk. Grand Junction … die Stimme klang alt, freundlich, besorgt. Wie die eines Großvaters, der die Treppe rauf ruft.
Wie viele Jahre ist das her? Zwei oder drei. Es war im Sommer, das weiß ich noch. Ich erinnere mich an den Qualm von den Buschbränden, und wie ich das Biest durch die Wolken steuerte, an den blutroten Sonnenuntergang an jenem Abend. Wie ich kreiste und kreiste und meine Kreise immer größer wurden, wie ich das Radio wieder und wieder justierte. Wie ich hektisch an der Geräuschunterdrückung rumschraubte. Ein Aussetzer in der Atmosphäre vielleicht, wie sonst hätte das Signal so weit tragen können, wo die Transponder doch schon seit Jahren nicht mehr funktionierten. Die Autorität in seiner Stimme. Ein älterer Mann. Daran erinnere ich mich noch. Er drang durch das Rauschen bis zu mir durch. Ein Pilot, da war ich mir sicher, er war ebenfalls Pilot.
Mit vollen Tanks schaffe ich es bis Gunnison und zurück, in die andere Richtung vielleicht bis Delta. Vielleicht, das heißt: wenn der Wind auf Hin- und Rückflug günstig steht. Was nur selten vorkommt. Ich habe schon oft darüber nachgedacht. Wieder und wieder. Junction liegt eine knappe halbe Stunde dahinter. Und dann. Dann was? Ein anderer Pilot auf einem anderen Flughafen, vermutlich weniger sicher als Erie. Aber.
Die haben elektrischen Strom, aus irgendeinem Grund. Die – er – haben mindestens sieben Jahre überlebt. Vielleicht noch länger.
Jasper regt sich, streckt seine Beine im Schlaf und drückt sich gegen mich, wovon er aufwacht. Er schnüffelt. Lässt den Kopf wieder sinken.
Das helle Mondlicht vor meinem Lager
hab ich im Augenblick für Reif genommen.
Ich sehe auf zum Mond, senke das Haupt:
mir ist die Heimat in den Sinn gekommen.
Das berühmteste Gedicht von Li Po.
Selbst damals, lange vor dem Ende: diese bodenlose Sehnsucht. Keiner von uns fühlt sich jemals zu Hause.
Ich lege mich zurück auf den mit Schaumstoff ausgestopften Seesack, den ich als Kissen benutze. Er wird nicht so schnell schmutzig, er erinnert mich nicht an mein altes Bett. Ich ziehe mir die Wollmütze tief in die Stirn. Der Himmel ist glasklar, die Waldbrände fangen erst Mitte Juni an, und die Milchstraße ist ein Fluss aus Sternen, flach vor lauter Tiefe. Damit meine ich: tiefer, als wir es uns vorstellen können. Jasper seufzt. Fast kein Wind. Der Hauch, der weht, kühlt mein rechtes Ohr, eine träge Brise aus dem Norden.
Würde ich mich mehr zu Hause fühlen, wenn ich einen Piloten aus Grand Junction kennenlernen würde? Wenn das südlich gelegene Denver eine lebendige, geschäftige Stadt wäre? Wenn Melissa auf der anderen Seite von Jasper schliefe, so wie früher? Bei wem wäre ich am meisten zu Hause? Bei mir?
Ich muss immer noch an die Stimme des Piloten denken. Die Autorität, die Sehnsucht. Sehnsucht nach Verbindung. Ich hätte längst hinfliegen sollen. Den Benzinvorrat bis aufs Letzte ausreizen, den Motor drosseln, langsam fliegen. Hätte mich eines Morgens einfach ins Flugzeug setzen und losfliegen sollen. Um zu gucken. Wonach, weiß ich selber nicht. Trotzdem war ich immer weit davon entfernt. Da hinzufliegen. Ich gebe es zu: Ich hatte Angst. Angst davor, den Funker tot vorzufinden, so wie es mir wieder und wieder und wieder passiert war. Ausnahmslos. Oder es auf dem Rückflug nicht mal bis Sieben Victor Zwo zu schaffen, in diesem Fall Paonia, wo es eine Notlandepiste oben auf einer schmalen, flachen Bergkuppe gibt, die aussieht wie ein Flugzeugträger. Oder über der Hochebene westlich von Delta keinen Treibstoff mehr zu haben. Im Schatten der Grand Mesa runterzukommen.
Vor langer Zeit habe ich gelesen, man hätte Amelia Earhart
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