Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte
rumzustehen. Schnell ziehende Stürme, die so ziellos umherwandern wie alles zu dieser Jahreszeit. Die Kälte. Die Schutzlosigkeit. Eine vertraute Panik stieg in mir auf. Die Angst vor der Dämmerung, vor dem Gewitter, vor dem Alleinsein auf ungeschütztem Terrain. Die Überraschung traf mich wie ein Schlag.
Ich musste wieder runter, und zwar schleunigst.
Die Panik war mir so vertraut, wie einem Übelkeit vertraut ist oder ein Kater, bloß dass ich sie schon lange nicht mehr gefühlt hatte und für ausgerottet hielt. Wenn man zwischen Leben und Tod eingeklemmt ist, hat man keine Zeit für Panik. Sie war es natürlich nicht. Ausgerottet. Sie war mir kein bisschen fremd. Eine vertraute, altbekannte Panik mit typischem Eigengeruch und einer ganz eigenen Art, das Gesichtsfeld einzuengen. Ich griff das Schlittenseil. Warf einen Blick zurück auf die Spur, die ich auf der schneeverkrusteten Ebene hinterlassen hatte. Und einen Blick hinauf in die flockige Dunkelheit. Es war zu spät, um sich von der Stelle zu bewegen, Scheiße.
Jasper hat mich immer beruhigt. Er regte sich über praktisch nichts auf, von Wolfsfährten mal abgesehen, und das färbte auf mich ab.
Dabei war es ganz ruhig. Solange der Wind nicht blies, war ich in Sicherheit. Ich könnte an einem der großen Findlinge mit der Plane einen Unterschlupf bauen und hineinkriechen und im Schlafsack schlafen. Falls nicht zu viel Schnee fiel, würde ich morgen Früh problemlos zur sicheren Baumgrenze runterstapfen und am Bach angeln können, nur wenige Stunden unterhalb von hier.
Ich hatte das getrocknete Hirschfleisch aufgegessen. Mein Hunger war bohrend, heftig, unbändig. Hätte ich Jaspers Fleisch nicht unterwegs weggeschmissen, ich hätte auch das gegessen. Wer hätte mich dafür verurteilen sollen? Egal, ob er es isst oder ich, wir sind ein und derselbe.
Also schön. Ich hatte Wasser. Ich sah einen Steinhaufen auf der anderen Seite des Sees, wo die Böschung wieder anstieg. Ich zog am Schlitten, blieb sofort wieder stehen.
Ein Schatten oben am Bergkamm. Alles war zum Greifen nah: der See, der Hang, das federbüschige Geröll, der scharfe Grat dahinter, der sich aus dem Schneesturm erhob und in den tief hängenden Wolken mündete. Gleich da oben auf der messerscharfen Kante, dort, wo die Wolken anfingen, sah ich einen großen, dunklen Schatten. Ich rieb mir mit dem Unterarm das Eis aus den Wimpern, und als ich einen zweiten Blick raufwarf, war er verschwunden.
Ich baute aus der blauen Plane und einem Felsen ein Zelt, schob Steine beiseite, um mir einen Liegeplatz zu schaffen, krümmte mich zusammen und schlief ein. Ich schlief traumlos, kummerlos, schlief und wachte in der totalen Finsternis auf, nur um dem Klicken der Eiskristalle auf dem Planendach zu lauschen und wieder einzudösen. Wachte auf und dachte bei mir, dass der Schatten groß genug für einen Elch gewesen war. Dachte bei mir, dass ich keine Spuren gesehen hatte, und dann fragte ich mich, ob es gut oder schlecht war, sich zu wünschen, was nicht da war.
*
Am zehnten Tag funkte ich Bangley auf dem Funkgerät an. Am frühen Morgen. Ich hatte keine Angst davor, schutzlos die Ebene zu überqueren oder nach dem Verlassen der Bäume verfolgt oder erschossen zu werden. Aber es war einfach unser Ritual. Außerdem gab es Bangley Zeit, sich auf meine Rückkehr in seine Welt einzustimmen, sich auf das Menschsein zu besinnen. Vielleicht. Außerdem würde mich ein Funkspruch davor bewahren, dem Beschuss durch meine eigene Truppe zum Opfer zu fallen, für den Fall, dass Bangley mich von seinem Aussichtsposten auf dem Dach einer der Villen, den er etwa einmal pro Stunde aufsuchte, entdeckte. Wie ich den Löffel abgab, war mir mehr oder weniger egal, mit dieser einen Ausnahme: nicht so. Allein der Gedanke, durch einen Fehler von Bangley umzukommen. Oder vielleicht wäre es gar kein Fehler, vielleicht nur ein halber, uneingestandener wie damals, als es den armen Francis Macomber dahinraffte. So sah es aus. Ich hatte keine Lust, diese Rolle im kurzen glücklichen Leben zu spielen. Also schaltete ich zum ersten Mal auf diesem Ausflug das Gerät ein und drückte zweimal kurz auf den Mikrofonknopf.
Ich hatte zwei Hirsche im Schlitten. Kleine Kühe, aber immerhin zwei, genug hoffentlich, um meine lange Abwesenheit zu erklären. Wahrscheinlich nicht. Mir doch egal. Sollte Bangley doch sagen, was er wollte. Wir spielten hier schließlich nicht nach seinen Regeln, nach meinen allerdings auch nicht; wenn ich drüber
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