Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte
dich. Ich vermisse dich so sehr, verdammt.
*
Ich marschierte drei Tage lang. Aß und schlief kaum. Die Ruhepausen im Schlafsack legte ich rein pro forma ein. Ich hatte keine Lust, ein Feuer zu machen oder mich daran zu wärmen, ich hatte keine Lust zu schlafen oder wachzubleiben, aber ich wusste nicht, was ich sonst machen sollte. Dann und wann kniete ich mich auf die Steine und trank aus dem Bach. Lief nach Westen und dann nach Norden. Immer auf die Indian Peaks zu. Wenn ich auf die Pirsch gehe, lasse ich den Schlitten an einem Basislager oder einem leicht wiederfindbaren Ort stehen und schleiche allein weiter. Ich nehme nur den Rucksack mit der Daunenjacke und eine Literflasche Wasser mit, und dann verbringe ich den ganzen Tag auf einem Bergrücken oder an irgendeinem wasserlosen Hang. Streichhölzer, Jagdmesser, Parka. Aber heute nicht. Ich zog und zerrte den Schlitten über die Felsen, ich machte einen Höllenlärm und sah nichts, was ich hätte jagen können, nur Streifenhörnchen, Kleiber, Krähen, aufgeschreckte Eichhörnchen, die keckernd auf die Bäume flüchteten und alle Welt warnten: Hier kommt Hig. Hig mit seinem Gewehr. Aber er meint es nicht ernst, er klappert mit seinem Gerät herum, er sieht nicht so gut aus, wo ist sein Köter? Eichhörnchen auf einem Ast in Panik, mit auf dem Rücken gekrümmten Schwanz, zuckend und lebendig, ihr Gekeife so durchdringend wie ein Alphorn. Könnten genauso gut in eine Trillerpfeife blasen. Spielstopp. Eins zwei drei vier Eckstein. Selbst die Krähen heben ab, verrenken sich die Hälse, fixieren uns, mich, mit einem schwarzglänzenden Auge und geöffnetem Schnabel, recken den Hals und kerben einen wütenden Warnschrei aus ihrem heiseren Krächzen. Ich rege sie zu ungekannter Empörung an. Empörung über den schludrigen Jäger. Der durch den Wald poltert. Rücksichtslos, laut, unachtsam, trampelig. Der die Ordnung stört. Die Nahrungskette aus Jäger und Gejagtem. Wie respektlos. Mit dem stimmt was nicht, KE-RÄÄÄÄHH.
Die Trauer ist ein Element. Sie hat ein spezifisches Gewicht, so wie Kohlenstoff und Stickstoff. Sie wird niemals weniger. Sie durchwirkt alles.
Am dritten Abend fing es zu schneien an. Spätfrühlingsschneeflocken, leicht und trocken. Die Temperaturen rauschten so schnell in die Tiefe wie eine Wolke vorbeizieht, es wurde kalt, so kalt wie mitten im Winter, und der Wind legte sich. Wir standen am Rand eines kleinen Talkessels oberhalb der Baumgrenze, und unten lag alter Schnee und ein kleiner See, dessen Eisdecke erst vor Kurzem aufgebrochen war. Wir. Ich. Es ist möglich, zusammen weiterzumachen. Egal, was die anderen glauben, für mich fühlte es sich so an. Hinter mir, immer wieder ausscherend, derselbe Hund, nur unsichtbar. Ein See wie ein Edelstein in einer Fassung aus federbuschiger Tundra und Geröllhalden, das Wasser so leuchtend und unverfroren grün wie ein Halbedelstein, aber vom Wind geformt. Bloß in dem Moment nicht. Die Oberfläche ruhig und wie glasiert, wie poliert reflektierte sie die dunklen Wolken, die an den Gipfeln aufliefen und überquollen wie eine Flüssigkeit, und auf einmal wurde es bitterkalt, und die ersten Schneeflocken fielen aufs Wasser. Stumm, flüchtig, ohne Ringe zu bilden. Ich ließ das Zaumzeug des Schlittens los. Ich war fünfzig Meter vom Wasser entfernt. Die Flocken wurden dicker. Weiße Fasern, die die Luft verdunkelten und die Dämmerung beschleunigten, so wie ein Feuer die Nacht dunkler wirken lässt. Ich war wie gebannt. Es war zu kalt für nackte Hände, aber meine Hände waren nackt. Die Flocken blieben in meinen Wimpern hängen. Sie landeten auf meinem Kragen. Riesengroß. Blumen und Sterne. Sie landeten übereinander, behielten ihre Form bei, bildeten Häuflein von perfekten Asterisken und Blüten, deren einzigartige Geometrie sich ergänzte und ineinandergriff wie Legosteine.
Etwas wie Gelächter. Dass eine Blume so klein und so flüchtig, dass eine Schneeflocke so riesig und so haltbar sein konnte. Die unglaubliche Einfachheit des Ganzen. Ich stöhnte. Warum hat das Geräusch zwischen Lachen und Weinen keinen Namen?
Und auf einmal hatte ich großen Hunger. Löste meinen Blick von meinem Jackenärmel und schaute mich auf dem Pass um. Der Gipfel und der Bergkamm über mir lagen im Dunkeln. Was zum Teufel hast du hier verloren? Hig, was zum Teufel hast du dir dabei gedacht? Was machst du hier oben, so spät am Nachmittag?
Das durfte nicht sein. So gottverlassen und umnachtet oberhalb der Baumgrenze
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