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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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anfassen, und Evies Kiefer knackt, als ob er sich aushaken würde, als ob ihr Mund ihr Gesicht verschlucken wollte. Dann merke ich, dass das gar nicht Evie ist, sondern das Ding, das Evie tief verschluckt hat und sie nun in sich versteckt hält.
    Tara Leary hat nach dem Sport im Umkleideraum immer etwas zu erzählen. Sie ist eine nie versiegende Quelle für Geheiminformationen, und wir stecken knietief drin. Sie hört alles, ihre Mutter ist ununterbrochen am Telefon und tratscht. Dass ihr Dad bei der Staatsanwaltschaft ist, hat früher nur bedeutet, dass wir in Bio das Leichenschauhaus besichtigt haben. Aber jetzt macht es sie zur Hüterin von lebenswichtigem Wissen und Enthüllungen.
    Mit mir beschäftigt sie sich am liebsten. Sie weiß, dass die Polizei mit mir geredet hat, deshalb bilden wir beide jetzt eine ganz eigene Gruppe, eine Elite.
    Wir duschen gerade, und sie flüstert durch den Vorhang hindurch zu mir herüber.
    »Dad hat Mom erzählt, es gibt jetzt einen Durchsuchungsbefehl für Mr. Shaws Haus.«
    Sie erzählt mir auch, die Polizei hätte einen anonymen Hinweis bekommen, dass er Kartons mit Pornoheften und Videos in der Garage hat.
    »Der da angerufen hat, muss sie ja wohl gesehen haben«, sagt sie. Ich beobachte den Schatten ihres Mundes beim Reden durch den Vorhang. »Er hat sie unter alten Zeitungen oder so versteckt. Seine Frau wusste bestimmt nichts davon. Er ist da bestimmt immer abends hingegangen.«
    Ich versuche, mir das nicht vorzustellen, Mr. Shaw nicht in einer Garage wie unserer vor mir zu sehen, mit Dads alter Werkbank und dem Kofferradio und den ganzen Schachteln, auf denen »Unterlegscheiben«, »Dübel«, »Schrauben« und »Beschläge« steht. Mr. Shaw im Bademantel unter einer Glühbirne, wie er guckt, guckt, guckt …
    »Man nennt das Kinderpornos«, sagt Tara gerade, und ich berühre den Duschvorhang, spüre die Vibration ihrer Stimme an meinen Fingern, sage mir, dass sie lügt.
    »Ich habe gehört, da war ein Video dabei«, fährt sie fort, »wo ein kleines Mädchen gezeigt wird, und sie ist echt noch Jungfrau, sie ist halt neun oder so, und da ist eine Riesenschlange von Männern, manche sind auch fett oder alt, und die vergewaltigen sie alle nacheinander, und dann bringen sie sie um, weil es ein Snuff-Film ist. Da bringen sie die Leute hinterher um. Mein Dad hat gesagt, das wäre dann sowieso egal, weil, was soll denn aus einer Neunjährigen werden, die in einer Stunde von zwanzig Männern vergewaltigt wurde?«
    Taras Stimme ist klar und scharf, sie dringt in mein Gehirn wie eine heiße Nadel. Ich will, dass sie aufhört, aber ich bin völlig atemlos und bekomme kein Wort heraus.
    Die Sache ist die: Evie ist weg, ist seit sechs Tagen verschwunden, und niemand findet sie, und es wird nicht mehr lange dauern, vielleicht noch einen Tag, bis niemand mehr wirklich damit rechnet, sie zu finden. Ich habe langsam das Gefühl, als würden alle nur noch auf die Nachricht warten, wo die Leiche hingeschafft wurde und was er mit ihr gemacht hat.
    »Wenn dir noch irgendetwas einfällt, egal was«, sagt Mr. Verver, »tags oder nachts, du kannst jederzeit herkommen oder anrufen.«
    Das sagt er. So etwas gab es zwischen uns noch nie. Jetzt schon. Jetzt gibt es das.
    »Lizzie«, sagt er. »Manchmal denkt man, man erinnert sich an gar nichts, und dann fällt einem auf einmal doch etwas ein. Wie bei dir mit dem Auto. Das war doch toll, wie dir das eingefallen ist. Und manchmal denkt man, die Dinge haben nichts miteinander zu tun, aber vielleicht haben sie das doch. Wie mit den Zigarettenstummeln. Du bist blitzgescheit, Lizzie, du hast uns sehr geholfen. Wo wären wir ohne deine Hilfe? Deshalb meine ich, wenn dir noch irgendetwas einfällt, egal was es ist, komm einfach rüber. Komm zu mir. Oder ruf an, auch wenn es mitten in der Nacht ist, ja?«
    Ja, Mr. Verver, ja, ja.
    Joannie, Tara und ich sitzen auf unseren Fahrrädern, drei Häuser vom Haus der Shaws entfernt, wo es von Polizisten nur so wimmelt. Tara hat uns mit dem Durchsuchungsbefehl gelockt, also schwänzen wir die fünfte Stunde und sehen nervös von Weitem zu. Wir sind ziemlich sicher, dass wir erwischt werden, wir bösen Schwänzer, wir Gaffer, wir Leichenfledderer. Aber wir müssen es einfach sehen.
    Wir erhaschen nicht einmal einen Blick auf Mrs. Shaw oder Pete, der immer noch nicht wieder in der Schule war.
    Wir stehen erst seit zehn Minuten dort, als uns ein Polizist entdeckt und uns zurück zur Schule bringt, sehen aber gerade noch,

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