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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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sich groß und wichtig an. Ich will nicht, dass es aufhört, aber ich weiß nicht, wie ich machen kann, dass es immer so weitergeht. Das gab es noch nie, ich hatte ihn noch nie so für mich, dass er nur mit mir sprach.
    »Alles fällt aus«, sage ich. »Übungen und so.«
    Ich merke, wie ich rot werde. Ich kann ihn nicht ansehen, aber ich spüre, dass er mich ansieht.
    »Du vermisst sie sehr«, sagt er so sanft, als wäre ich es, die getröstet und beruhigt werden muss. »Oder?«
    Mein Mund geht ein Stückchen auf, aber es kommt nichts heraus.
    Er tätschelt mir leicht den Arm, mit seinen warmen, schwieligen Fingerspitzen.
    Ich schaue ihn an, und er hat so eine Schwere im Gesicht, wie ich sie noch nie gesehen habe. So unheilvoll. So soll es nicht sein. Nicht für ihn.
    »Ja«, sage ich schließlich, die Härchen auf meinen Armen stellen sich auf. »Aber sie kommt wieder.«
    Das sage ich und kann selbst nicht glauben, dass ich es sage, aber ich weiß, dass es stimmt.
    Mr. Verver umfasst mein Handgelenk mit seiner Hand und lächelt traurig, sein Blick irrt umher und bleibt irgendwo über meiner linken Schulter hängen.
    »Ja. Ja, natürlich.«
    Er glaubt mir nicht, und das tut mir weh. Ich will, dass er es weiß, wirklich weiß, im Herzen, in den Knochen, so wie ich.
    Ach, Evie, was hast du angerichtet, kaputt gemacht, ausgelöscht, diese Fülle, diese Ganzheit, und was soll er nun tun?
    Wie kann ich machen, dass er es glaubt?
    Ich sehe ihn an, so eviehaft ich kann. Ich verspreche es ihm immer und immer wieder, ohne ein Wort zu sagen.
    Glaub es, glaub es. Glaub mir.
    Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, es steckt im dunkelsten Keller meines Kopfes, aber ich war ungefähr vier oder fünf Jahre alt, und er hat mich gerettet. Es war im Green Hollow Lake, viele Familien waren da, es war der vierte Juli oder Labour Day oder irgendein großes Sommerpicknick, und ich erinnere mich an die halb verkohlten Hot-Dogs vom Grill und den Geruch von Ketchup, der auf Papptellern warm wurde, ich trieb auf meiner gelben »Hawaiian Punch«-Luftmatratze neben Evie, wir waren uns so ähnlich, dass man uns kaum auseinanderhalten konnte, der gleiche Haarschnitt, unsere sich schlängelnden kleinen Körper in den gleichen karierten Badeanzügen.
    Wir waren alle da, es war, bevor sie den Strand abgesperrt haben wegen der starken Strömung, und da war so viel Lärm und Durcheinander, und ich weiß noch, wie sich die Luftmatratze an meiner Wange angefühlt hat, und wie ich versucht habe, alles auszublenden, mich in die Mitte der Luftmatratze zu schieben und nichts zu hören außer dem Pulsieren des Wassers, meines Herzens.
    Ich kann nicht sagen, was es war, das Toben und Albern der größeren Jungen, oder der glitschige Tang an meinen strampelnden Beinen oder irgendwas, ich plumpste in den See, und niemand hat es gesehen. Minuten vergingen, Jahrhunderte, in der düsteren Tiefe. So erinnere ich mich heute daran, die Zeit ist verschwommen, verschwunden, vergessen. Niemand hat es gesehen. Bis Mr. Verver mich rausfischte, mich schüttelte wie einen nassen Welpen, mich hochhob wie an der Nackenfalte und mir das Leben rettete.
    Ich erinnere mich – wirklich? –, dass ich grünen Schlamm gespuckt habe, den Grund des Sees, wie eine Kaulquappe, die auf seinem Arm zappelte. Das raue Handtuch, Mr. Verver ist da, sein strahlend weißes Lächeln. »Du bist weggeflutscht wie ein Fisch«, sagte er. »Aber so leicht kommst du mir nicht davon.« An seine Brust geschmiegt, kam die Wärme wie ein Versprechen.
    Das weiß ich noch genau.

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    8.
    I n dieser Nacht träume ich von Evie, sie steht am Fußende meines Betts, den Mund voller Watte, wie beim letzten Mal. Und ich setze mich auf und ziehe ihr die Watte in langen Strängen aus dem Mund, lange Stränge, die sich um meine Finger wickeln wie Zuckerwatte.
    Es wird immer mehr, immer mehr, und ich hebe die Hände hoch, an ihr Kinn und an ihren Mund, der nun schwarz ist und abgrundtief.
    Wie Schwester Stang fasse ich hinein, berühre das feuchte Innere.
    Die ist ja gar nicht mehr genäht, sage ich, als meine Finger Evies Zunge berühren und ich immer noch zarte Watteranken herausziehe.
    Ist nicht mehr nötig, versucht Evie zu sagen, streckt die Zunge heraus und schiebt damit meine Finger aus ihrem Mund.
    Die Zunge hängt da wie ein rotes Band. Ich betrachte sie näher und sehe, dass sie gespalten ist wie bei einer Schlange. Wie bei der Königskobra, die sie uns im Zoo gezeigt haben.
    Ich will sie

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