Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
wie sich die Detectives mit einer Taschenlampe durch das halb offene Tor in die Garage zwängen, und Tara nickt zufrieden. Wir sehen sie nicht wieder herauskommen.
Am Abend wird im Fernsehen darüber berichtet. Meine Mutter beugt sich über ihren Tee, hört gespannt zu, ermahnt meinen Bruder, still zu sein. Der Sprecher sagt, die Polizei habe es noch nicht bestätigt, ein »Insider« melde jedoch, es habe eine Hausdurchsuchung stattgefunden. Auf allen drei Kanälen wird Mr. Shaw als vermisst bezeichnet, und als »im Fall des verschwundenen Verver-Mädchens möglicherweise tatverdächtig«.
Kanal 7 berichtet, es werde eine DNS – Analyse der Zigarettenstummel vorgenommen, es sei jedoch fraglich, »ob überhaupt verwertbare Spuren sichergestellt werden können, nachdem die Zigaretten Wind und Wetter ausgesetzt waren«. »Außerdem«, fügt die Sprecherin hinzu, »war Mr. Shaw nach Angaben von Freunden und Familie Nichtraucher.« »Er hat schon vor Jahren aufgehört«, sagt eine Frau mit spitzer Nase, die sich als Mr. Shaws Buchhalterin herausstellt. »Aus gesundheitlichen Gründen.«
»Wie aus gut unterrichteten Kreisen verlautete«, sagt die Nachrichtensprecherin abschließend, »wurden bei der Hausdurchsuchung tatsächlich keine Zigaretten gefunden.«
Ich spüre den Blick meiner Mutter, sie wartet auf eine Reaktion. Ich lasse mir nichts anmerken, auch wenn es bei mir einschlägt und mich verwirrt.
Ich weiß, dass das seine Zigaretten waren, bei den Ververs im Garten. Ich weiß es einfach.
»Vielleicht haben sie sie nur übersehen«, sage ich. »Zigaretten kann man ja überall verstecken.«
»Vielleicht versteckt er sie auf der Veranda«, sagt Ted in diesem gehässigen, schneidenden Ton, in dem er immer mit unserer Mutter redet. »Unter einem Stuhlbein.«
Sie zuckt nicht einmal zusammen.
Die Situation ist so ernst, dass meine Mutter bei Teds Worten nicht einmal aufschaut, sich nicht im Geringsten aus der Fassung bringen lässt.
»Wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die beiden Vorfälle nichts miteinander zu tun haben«, sagt der rundliche Polizeichef gerade. Der Nachrichtensprecher nickt gewichtig, aber man sieht es dem Polizeichef an: Er weiß, dass es Mr. Shaw war, das wissen wir alle, oder?
»Also, ich verstehe das nicht«, sagt meine Mutter. »Denken die nach all dem wirklich noch, dass …«
Es war Mr. Shaw, selbst wenn Mr. Shaw nicht so ist, wie sie ihn darstellen, kein widerliches Monster, sondern ein Mann, der in seinem Innersten zerrissen ist. Könnte doch sein? Wieso denkt daran niemand außer mir?
Irgendwie muss ich es schon geahnt haben, bevor es überhaupt passiert ist. Muss es in meinem Innersten schon gespürt haben, als Mr. Shaws Auto an dem Tag an uns vorbeischlich. Und hat Evie mir in diesem kurzen Moment hinten im Garten, als wir neben den Zigarettenkippen knieten, nicht ein Geheimnis erzählt, das so gefährlich war, dass sie es kaum aussprechen konnte, und wieso weiß ich das alles jetzt, aber damals, als ich dort im Mondlicht auf dem Rasen stand, war es mir überhaupt nicht klar?
Es ist schwierig, Wissen und Vermutungen auseinanderzuhalten, und irgendwie scheint es auch dasselbe zu sein.
Und außerdem:
Es muss Mr. Shaw gewesen sein. Er muss es gewesen sein.
Wenn er sie nicht mitgenommen hat, wo soll sie dann sein?
»Sie haben ü-ber-haupt nichts gefunden«, erklärt Tara am nächsten Tag. Keine Pornos, keine grauenhaften Snuff-Filme, und keinerlei Hinweis auf eine Verbindung zu Evie.
»Er muss vor der Tat wirklich gut aufgeräumt haben«, sagt sie.
Ein Teil von mir war auf unvorstellbare Grausamkeiten gefasst gewesen. Auf Schlimmeres als schmuddelige Fotos von Mädchen mit Zahnspangen, die sich den Pullover hochziehen, sogar Schlimmeres als verschwommene Videos von grässlichen Dingen, die jemand zerzausten Kindern antut, ihre Augen ganz starr vor Entsetzen. Was könnte noch schlimmer sein?
Gleichzeitig wird mir klar, dass ich nicht wirklich damit gerechnet habe, dass sie etwas Schlimmes, etwas wirklich Fieses, bei ihm finden. Ein Teil von mir ist sicher, dass Mr. Shaw, was er auch getan hat, es nicht getan hat, weil er krank ist, sondern aus echter, schmerzhafter Liebe. Warum sonst hätte er sich nächtelang aus der Ferne nach ihr verzehrt?
»Er hat seine ganzen schmutzigen Filme und Zeitschriften bestimmt mitgenommen, nach Kanada oder wo auch immer er sie hin verschleppt hat«, sagt Kelli kaugummikauend. »Hat sie mitgenommen und jetzt zwingt er sie,
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