Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
in den Mund oder reiben sie zwischen ihren Beinen.
Ich frage mich, was ein Junge wollen könnte, wenn nicht Dusty.
Es ist, als ob ich durch ein Schlüsselloch Dusty mit Teds Augen sehe, ein komisches Gefühl, und ich weiß nicht, was ich davon halten soll, und bleibe in Moms Schlafzimmer sitzen, nachdem Ted schon lange weg ist. Ich sitze dort, während meine Mutter ihn kichernd und aufgeregt durchs ganze Haus führt, ihn überall fotografiert und Ah und Oh macht.
Auf einmal kann ich mir vorstellen, wie Dusty, die Arme an den Körper gepresst, gelangweilt und genervt ist von den Ellbogen der Jungs, die sie stoßen und anstupsen, diese Jungs, die immer versuchen, sie auszupacken, aufzufalten, sie aus sich herauszuholen. Und was würde sie davon haben? Diese linkischen Jungs wollten immer etwas von ihr, wussten aber gar nicht, was das bedeutet und warum es wichtig ist.
Dustys strenger, majestätischer Blick besagt, dass sie so viel mehr weiß als sie, und dass diese Jungs sie nie beeindrucken könnten, also warum sollte sie ihnen ihren herben Zauber gönnen, hatten sie das etwa verdient?
So versuche ich also, das alles zu entwirren, liege auf dem Bett meiner Mutter, auf der malvenfarbenen Tagesdecke, die sie sich nach der Scheidung gekauft hat, zusammen mit den ganzen Kissen in hundert verschiedenen Größen, die sich so hoch auf ihrem Bett stapelten, dass man keinen freien Platz mehr darauf fand.
Die Kissen sind mittlerweile weg, sind ins Fernsehzimmer gewandert oder sonst wohin.
Wenn man auf dem Bett liegt, sieht man sich in dem großen Spiegel, vor dem mein Bruder gestanden hat. Ich versuche die Gedanken an meine Mutter und Dr. Aiken und diesen Spiegel zu vertreiben, der etwas geneigt ist, sodass ich, wenn ich so daliege wie jetzt, in die Hosenbeine meiner Fußballshorts hineinsehen kann.
Ich frage mich, wie oft Dr. Aiken in diesem Bett gelegen hat, und was er hier tut, und was er zu meiner Mutter sagt, und ob sie ihm glaubt.
»Ihr war nicht danach«, sagt Mr. Verver. »Wir haben versucht sie zu überreden, aber sie hat gesagt, sie kann einfach nicht. Aber es ist schon schade, so etwas zu verpassen. Den Schulball, den vergisst man nicht.«
»Ja«, sage ich. Ich weiß noch, wie wir vor etwa einem Monat zusammen mit Dusty ihr Kleid gekauft haben, lang, schmal und rot, wie eine aufgerollte Zunge.
»Sie hockt schon seit Stunden in ihrem Zimmer«, sagt Mr. Verver und macht diese Sache mit seiner Augenbraue, wie wenn Evie ihm ihre Verletzungen zeigt oder von einer schlechten Note erzählt.
Ich stelle mir vor, wie sie auf ihrem Kirschholzbett sitzt, in Decken gewickelt, traurig und verzweifelt.
Ich stelle mir sie da oben vor und frage mich, was sie wohl über Evie denkt. Darüber, was passiert ist, und wie sie alle mit allem aufhören mussten, als wäre die ganze Welt mit einem Ruck stehen geblieben.
Ich überlege, ob ich irgendwie mit ihr über Evie reden kann, mal hören, was sie glaubt, was mit ihr passiert ist, aber Dusty wirkt auf mich genauso abweisend wie auf die Jungs auf dem Rücksitz, sie irgendwo ganz oben, und ich weit unten auf dem Boden, knöcheltief in ihren langen Prinzessinnenlocken.
»Ich weiß noch«, sage ich, »wie Dusty, als wir noch klein waren, mal Mrs. Ververs alte Kleider anprobiert hat, ihr Abschlussballkleid zum Beispiel. Das mit der Spitze.«
Das war an einem langweiligen Sommertag, und wir hatten alle schon unsere Badeanzüge an, aber es hörte einfach nicht auf zu regnen, und wir konnten nicht schwimmen gehen. Mrs. Verver holte ein paar große Kartons von ihrem Kleiderschrank herunter, ihr Abschlussballkleid war lang und aus gelbem Tüll, mit Fledermausärmeln und Organzarüschen wie bei einer Prinzessin. Es war unvorstellbar, dass Mrs. Verver es jemals getragen hatte, aber Dusty, gerade mal zehn Jahre alt, zog es sich über ihren Badeanzug und posierte wie ein Model und stolzierte darin umher, und sie hat sogar das Hochzeitskleid angezogen, das mit den Puffärmeln.
Mrs. Verver – ich hatte ganz vergessen, dass sie so etwas mit uns gemacht hat, früher, als Mr. Verver beruflich viel unterwegs war und immer im Flugzeug saß, und sie noch nicht die ganze Zeit so unerreichbar war und immer nur in ihrem Zimmer saß oder ein Buch las, es war ein langsamer Rückzug gewesen, der sich über Jahre hinzog.
Aber damals war sie noch anders. Wie an diesem Tag, sie holte ihren Fotoapparat und machte Fotos von Dusty, die auf Zehenspitzen herumtrippelte und dramatische Gesten machte, ihre
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