Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
unter dem T-Shirt immer noch in der Taille hängt und die Träger so eng um meine Arme gespannt sind, dass ich nicht richtig fahren kann und anhalten muss und hoffen, dass niemand guckt, als ich ihn hochziehe, dahin, wo er hingehört.
Als ich Evie davon erzählt habe, in der Stille unserer Schlafsäcke, hat sie erst ewig lange nichts gesagt, aber ich hörte sie atmen. Dann sagte sie, wenn Jungs etwas so sehr wollten, als könnten sie nie mehr davon ablassen, dann würde ihr das manchmal richtig Angst machen.
Aber, sagte sie, manchmal habe ich das auch.
Sie sagte, Lizzie, hast du auch manchmal so ein Verlangen, dass du das Gefühl hast, du würdest verschwinden? Als würdest du nur noch aus Verlangen bestehen, und der ganze Rest von dir verbrennt einfach?
Daran denke ich, und ich bin so in diese Gedanken versunken, dass ich gar nicht mehr das Gefühl habe, in Gesundheitslehre zu sitzen und Kelli zuzuhören, wie sie ihr Kaugummi schnalzen lässt und über das Blut redet, das Blut und wie es sich zwischen ihren Beinen anfühlt.
Nein, ich bin bei Evie, und wir sind eng aneinandergeschmiegt, und sie will mir irgendetwas erzählen, alles, was sie weiß, alles, was sie gelernt hat, das geheime Wissen von anderthalb Wochen, die tief an einen Ort gesunken sind, den ich nur dunkel erahnen kann.
Ich kann sie wirklich sehen, sie ist wirklich hier, und sie wird es mir erzählen, sie macht den Mund auf, ihre Zähne, ihre Zunge …
»Evie«, sage ich, aber es kommen keine Wörter raus, und das Geräusch des Bodens, als mein Kopf aufschlägt, ist laut genug, um die ganze Welt zu wecken.
Ich erzähle Mrs. Miller und Schwester Stang nichts. Ich sage, mir war schwummerig, und sie fragen mich, ob ich gefrühstückt habe, und das habe ich nicht. Ich habe nicht gefrühstückt und nicht Abend gegessen, außer der Schachtel Lakritztaler, die ich in meinem Zimmer gefunden und alle auf einmal aufgegessen habe, den Geschmack hatte ich noch die ganze Nacht im Mund.
Am nächsten Abend geht Mr. Verver raus in den Garten, ein paar Dosen Bier hängen an den Plastikringen eines Sixpacks.
Er hat sich Urlaub genommen und verbringt die Tage damit herumzufahren, mit der Polizei, mit freiwilligen Helfern, mit jedem, der mitfährt. Sie fahren den ganzen Tag durch die Gegend.
Er winkt mich herüber und klopft auf den Liegestuhl neben sich.
Er sagt, er will mir etwas zeigen, und breitet eine große Karte auf dem Rasen vor uns aus, eine Karte von unserem Bundesstaat, dem angrenzenden und ganz hoch bis zur Grenze und weiter bis Ontario.
»In diesem Gebiet«, sagt er, beugt sich darüber und breitet eine Hand über einen verknitterten Teil ganz oben. »Seine Frau sagt, in der Ecke wollte er immer gerne nach einem Cottage suchen, das er kaufen könnte. Er hat von einem Ferienhaus da oben geträumt.«
Ich höre zu, und ich sehe auf die Karte, er hat mit Filzstift überall Kreise, Linien und Sterne draufgemalt. Die Karte ist voll davon, Kleckse und Streifen und Schlangenlinien, die in manchen Ecken alles unkenntlich machen, zum Beispiel in unserer.
»Sie hat dem FBI gesagt, sie glaubt, dass er da oben irgendwo einen Freund aus dem College hat.« Er rollt die Bierdose zwischen den Handflächen herum. »Jim Soundso, sagt sie. Die Polizei findet niemanden, der wissen könnte, wen sie meint. Aber sie fahren von einer Stadt in die nächste, überallhin, wo sie solche Hütten vermieten oder verkaufen.«
Er sieht sich die Karte sehr genau an, und dann mich.
»Sie gehen die Überwachungsvideos der Grenzen durch«, sagt er. »Es gab lauter Meldungen, er wäre gesehen worden, aber es dauert ewig, das alles nachzuverfolgen. Man braucht zu viele Leute. Aber Kanada – das hat noch mehr Unterstützung vom Staat und vom FBI gebracht.«
So geht es weiter, er zeigt mir, wo er überall hingefahren ist, in unserem Staat, im angrenzenden. Wo die Polizei überall sucht. Die ganzen Spuren, Hunderte. Die Welt ist so groß, und wir sind so klein, dass man niemals irgendetwas irgendwo finden kann.
Später kommt Mrs. Verver raus, und ich sehe sie seit Evies Verschwinden zum ersten Mal aus der Nähe. Ihr Gesicht wirkt wie abgeschrubbt. Ihr Haar – dieses Haar, das immer so weich und glatt war wie Zitroneneis – sieht ganz komisch aus, wie die kaputtgespielten Haare einer alten Puppe.
Sie steht hinter uns, ein Glas Eistee in der Hand, und sagt nichts, und Mr. Verver streckt die Hand nach hinten aus, um ihren Arm zu berühren, kommt aber nicht dran, und sie bewegt sich
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