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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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nicht auf ihn zu.
    Ich hätte es getan.
    Ich sehe sie in denselben grünen Wirrwarr in der Ecke des Gartens starren, in den wir auch starren. Es ist nicht so, wie Mum sagt, dass wir darauf warten, dass Evie aus dem Gebüsch hervorkommt oder die Bäume sie freigeben. Die Stühle stehen halt in die Richtung.
    Wenn sie sich gegenüberstünden, wenn Mr. Verver mir ins Gesicht sehen würde, dann könnte ich wahrscheinlich gar nicht mit ihm hier sitzen.
    Manchmal tut es weh, ihn anzusehen. Neben ihm geht es.
    Mrs. Verver steht so kurz da, dass ich mich später frage, ob sie überhaupt da war oder nur ein Geist.
    Es fühlt sich mehr denn je so an, als wäre Evie, seit zwölf Tagen verschwunden, hier.
    Aber komisch, dass Dusty an diesen Abenden nie rauskommt. Mein Stuhl ist eigentlich ihr Platz, hier hat sie immer ihre langen Beine unter sich gesteckt und ihr gemeines, köstliches Lachen gelacht. So war es immer mit den beiden gewesen.
    Es kommt mir vor, als sollte sie hier draußen bei ihm sein, jetzt, wo er sie braucht.
    Einmal, im Sommer, bevor wir auf die Middle School kamen, waren Evie und ich lange nach Schlafenszeit noch bei uns im Garten und futterten eine gestohlene Tüte Marshmallows und kicherten stumm, damit uns niemand hörte.
    Dusty und Mr. Verver waren draußen, hatten das Radio auf der Fensterbank stehen und Mr. Verver hörte einen alten Song, den er mochte, und er sang mit, in dieser Art zu singen, wo man so selbstironisch tut, aber in Wahrheit genießt man es. So war seine Stimme immer. Als würde er jeden Moment anfangen zu lachen.
    Beim Refrain – »You don’t have to say you love me, just be close at hand, you don’t have to stay forever, I will understand« – sang Dusty mit, und ihre Stimme war so zart wie klingelnde Glöckchen, aber sie gab alles, und sie hatten so einen Spaß, haspelten sich durch den Text, den wir langsam auch schon kannten, so oft hatten wir ihn gehört.
    Ich wusste, dass Evie gern mitgesungen hätte, und das hätte ich auch gern. Aber man hatte nicht das Gefühl, es zu dürfen. Es war, als würde man mitten im Gottesdienst die schweren Kirchentüren öffnen, wenn drinnen diese schweigende, parfümierte, heilige Atmosphäre herrscht, und alle drehen sich um und sagen, ohne es auszusprechen, nein, das hier ist nichts für dich.
    Nichts für dich.
    Aber jetzt kommt Dusty, wenn wir bei den Ververs im Garten sitzen, gar nicht mehr raus. Nur manchmal drehe ich mich um, sehe sie am Küchenfenster vorbeigehen und erhasche gerade noch das Gold ihrer Haare.

[Menü]  
    12.
    A m nächsten Abend findet der Abschlussball der Junior Highschool statt. Ted zerrt immer wieder an seinem unbequemen Smokingkragen. Er geht mit Mindy Phipps hin, einem wilden Mädchen mit tiefer Stimme, das aus dem Hockeyteam geflogen ist, nachdem der Trainer eine Flasche Brombeer-Brandy in ihrem Spind gefunden hat. Ein Platz in der Limousine bleibt frei, weil Dusty nicht mitkommt, das stand gar nicht zur Debatte.
    »Tom hätte einfach jemand anders einladen sollen, ich verstehe sowieso nicht, warum er seine Zeit mit Dusty verschwendet. Ich habe wenigstens nur vier Tage mit der verplempert.«
    Ich sehe meinem Bruder zu, wie er sich in dem großen Spiegel im Schlafzimmer meiner Mutter betrachtet. Er sieht aus wie jemand aus einem Werbespot, der Typ mit den dunklen Haaren, der mit einer Frau auf einem glänzenden Hausdach herumtanzt, nachdem er ihr einen riesigen Diamanten geschenkt hat. Ted guckt finster und kratzt sich am Hals.
    »Sie hatte schon ziemlich viele Freunde«, sage ich, obwohl ich weiß, dass das eigentlich nicht stimmt. Jedenfalls nicht so wie er meint.
    Es sind immer Jungs in Dustys Nähe, verschiedene Jungs, manchmal auch nur einer, aber besonders aufregend fand sie die offenbar alle nicht. Der Einzige, der eine Weile lang blieb, war Joe Richmond, im Sommer, bevor er aufs College ging. Er war oft bei ihnen zu Hause und spielte Basketball mit Mr. Verver, der ihn jedes Mal schlug.
    »Jungs lieben Dusty einfach«, sage ich, etwas lauter, und kratze am Schorf auf meinem Knie herum.
    »Sie gucken sie nur gerne an«, antwortet Ted. »Aber wie lange reicht einem Gucken?«
    Dieser Satz stößt eine Tür in eine andere Welt auf, die Welt männlicher Teenager, eine Welt voller Tennissocken und wummernder Bässe und Zeitschriftenfotos von riesigen, gebräunten Brüsten und weißen Hasenzähnen und seidigen blonden Haaren, die Mädchen posieren immer gebückt oder auf allen vieren, oder sie stecken sich Sachen

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