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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Abbott
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man hätte sie vergessen, und dann erinnert man sich doch an sie, und auf einmal hat man so eine komische Sehnsucht und weiß gar nicht, warum.
    »Das ist doch Quatsch«, sage ich hastig, »das hast du dir ausgedacht.«
    »Habe ich nicht«, sagt sie, ruhig, leise. »Wir haben ihn da draußen gesehen. Evie und ich. Wir haben ihn unter dem Baum stehen sehen, abends, seine glimmende Zigarette. Er hat zu ihrem Fenster raufgeguckt. Wir haben ihn da ständig gesehen.«
    Mir klappern die Zähne.
    Hatte Evie nicht genau das zu mir gesagt, als wir vor den Zigarettenkippen hockten?
    Manchmal, abends, steht er hier draußen.
    Seufzend kickt Dusty sich mit einem Fuß den Schuh vom anderen Fuß, er landet vor mir auf dem Boden.
    Ihre Lässigkeit macht mich wütend. Wie sie da liegt, wie eine Königin und so selbstbewusst.
    »Warum hast du nichts gesagt?« Ich schreie fast. »Wenn du wusstest, dass er da draußen war, warum hast du das nicht gesagt?«
    Sie schüttelt langsam den Kopf, er wippt wie der Kopf einer Puppe, sie legt ihn ein wenig schief, als wäre sie nicht sicher, was sie von mir halten soll, oder als wäre ich, wenn ich schon so dumm bin, so was zu fragen, auch zu dumm, eine Antwort zu verdienen.
    »Warum hast du denn nichts gesagt?«, fragt sie. »Sie hat es dir doch erzählt, oder? Warum hast du nichts gesagt?«
    »Ich wusste es nicht«, stottere ich. »Ich wusste ja nur ein bisschen.«
    Sie sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an.
    Die Atmosphäre im Zimmer, das wird mir alles zuviel. Der Geruch nach Kaugummi und süßem rosa Parfum und Gesichtspuder, mir ist schwindlig, und ich muss an die ganzen Dr. Peppers denken, die ich im Garten mit Mr. Verver getrunken habe, und unter meinen Füßen gibt der dicke Teppich nach.
    Warum habe ich niemandem davon erzählt? Manchmal, abends, steht er da draußen. Ich habe es niemandem gesagt. Ich bin nicht mal auf die Idee gekommen. Es gehörte mir, und ich habe es festgehalten.
    Es hat mir gehört, und ich wollte es mit niemandem teilen.
    »Was willst du überhaupt damit sagen?«, frage ich, es klingt fast wie ein Stöhnen. »Dann wusste sie eben, dass er sie beobachtet.« Ich kann es kaum laut aussprechen, habe ich so etwas überhaupt schon mal laut ausgesprochen? »Aber sie konnte ja nicht ahnen, dass er sie entführen würde. Dass er sie uns wegnehmen würde.«
    Der Blick, den Dusty mir zuwirft, ist lang, ihre grün-goldenen Augen sind wie Nadelstiche, Nadelstiche auf meiner Haut.
    Oh, sie weiß noch mehr, oder? Sie weiß so viel. Warum sagt sie es nicht, warum sagt sie es nicht?
    »Verstehst du nicht?« Dustys Stimme ist leise, ein heiseres Flüstern. »Verstehst du immer noch nichts?«
    »Was soll ich verstehen?«, frage ich, meine Stimme überschlägt sich, ich fuchtele aufgeregt herum.
    Ich kann sie schon fast spüren, ich bin so nah dran, an einer Wahrheit, die so schrecklich ist, dass ich sie höchstens mit den Wimpern berühre, die Augen aber fest verschlossen halte.
    Sie lässt langsam den Kopf zurücksinken. »Ach Lizzie, sie wusste es. Sie wusste, dass er sie holen würde. Sie wusste es.«
    »Das weißt du doch gar nicht«, sage ich. Weil sie es wirklich nicht wissen kann.
    Aber sie hört mir nicht mal zu. Sie ist in Gedanken ganz woanders, ihr Gesicht ist ganz weich, als hätte sie ein Spiel verloren, wie vor Jahren, als sie noch ab und zu ein Spiel verlor.
    »Das ist doch scheiße«, sagt sie, »wie das jetzt alles passiert, wir alle kämpfen mit irgendwelchen Gefühlen, und nichts ist mehr so, wie es war. Nur wegen ihr. Sie ist so was von egoistisch.«
    Alles im Zimmer kommt auf mich zu, der Puder nimmt mir den Atem, schwere Düfte und Wattebäusche ersticken mich, und ich frage mich, ob es für Dusty immer so ist.
    »Sie denkt wohl, sie kann machen, was sie will«, sagt Dusty. »Sie kann haben, was sie will. Warum kriegt sie immer alles, was sie will?«
    So ist es doch gar nicht, denke ich. So ist es nicht. Wie kann sie so über Evie reden? Andererseits ist Dusty auch gerade neben der Spur, und man kann ihr nicht glauben, sie schlägt Funken wie Metall auf Beton.
    »Guck dir bloß mal an, was sie mit ihm gemacht hat«, sagt Dusty, und einen Moment lang glaube ich, sie meint Mr. Shaw. Sie meint aber Mr. Verver. Das merke ich, weil ihre Stimme ganz hoch wird und auf einmal in klirrende Scherben zerbricht. Sie wiegt den Kopf, vor und zurück, vor und zurück. Als ob sie nicht damit aufhören könnte. »Du siehst doch, warum ich es nicht erzählen kann. Ich

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