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Das Ende der Welt (German Edition)

Das Ende der Welt (German Edition)

Titel: Das Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Höra
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ein Feind. Du bist ihm schon lange auf der Spur, er will dich vernichten, er will die Ordnung vernichten, er will …
    Dann passierten zwei Dinge: Ich bekam einen Schlag ins Genick, der mich bewegungslos machte, gleichzeitig drehte sich Burger zu mir um und sah mir in die Augen. In diesem Moment wusste ich, dass er mich von Anfang an durchschaut hatte. Er stand da und sah mich traurig an. Ich war noch immer wie gelähmt. Das Messer fiel aus meiner kraftlosen Hand und landete mit einem sanften Plopp auf dem weichen Waldboden. Meine Beine knickten ein, und ich fiel zu Boden, wo ich reglos liegen blieb. Für einen Augenblick dachte ich, ich wäre tot. Dabei konnte ich sehen, hören, riechen und schmecken. Eine Gestalt trat in mein Gesichtsfeld. Eine Gestalt mit geschminkten Lippen, die sich grausam verzogen.
    Burger hockte sich neben mich: »Keine Angst, die Lähmung verschwindet bald. Der Zar hat dich nur ein wenig gestreichelt, sonst wärst du jetzt tot.« Ich versuchte zu sprechen, konnte jedoch keinen Muskel bewegen. Burger sah mich fast mitleidig an. Ich rechnete mit meinem Todesurteil. Aber das hatte ich verdient.
    »Ich wusste, dass es so weit kommen würde«, sagte er. »Das Gift, das dir Cato, Sönn und die Armee in den Jahren deiner Erziehung eingeflößt haben, wirkt lange. Ich war lange genug Soldat, ich weiß, wie das ist.«
    Und ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, floss mir eine Träne aus dem Auge und lief meine Wange hinunter. Dann noch eine und noch eine, es hörte nicht auf. Ich weinte. Ich weinte um mich selbst. Um meine Vergangenheit, meine Zukunft. Ich weinte um Leela, um meine Mutter, um meinen Vater, und ich weinte über Catos und Sönns Verrat und was aus mir geworden war. Alles brach aus mir heraus.
    Das letzte Mal hatte ich als Kind geweint. Oft vor Hunger oder Schmerz. Das hier aber war etwas ganz anderes. Mir wurde in diesem Moment klar, dass man sich für nichts zu schämen braucht. Dass Schwäche und Angst zu haben zum Menschsein gehören. Und dass uns niemand dafür verurteilen darf, nur wir selbst. Und darüber weinte ich noch mehr.
    Als ich mich wieder etwas bewegen konnte, setzte ich mich auf. Trotzdem konnte ich nicht aufhören zu weinen.
    Ich hatte gelernt, dass der Mensch überwiegend aus Wasser besteht. Ich werde zerfließen, dachte ich plötzlich und musste lachen, verschluckte mich und musste noch mehr lachen und husten. Komischerweise fühlte ich mich nach einer Weile besser, als wäre ich gereinigt worden, als wäre durch das Weinen etwas aus mir rausgespült worden.
    Burger half mir auf die Füße. Ich hatte zittrige Beine.
    Leela war da und umarmte mich. »Burger hat mir erzählt, dass das passieren könnte«, sagte sie.
    »Du hast noch immer die Wahl«, sagte Burger und sah mich an. »Wenn du willst, lasse ich dich ziehen. Aber lieber wäre es mir, du würdest mit uns kommen.«
    Ich brauchte nicht zu überlegen. »Ich komme mit«, sagte ich.
    Als wir bei den anderen waren, sah mich Donard fassungslos an. »Ich habe es gewusst«, zischte er.
    Ich beachtete ihn nicht weiter.
    Burger rief uns zusammen.
    »So wollen wir denn gehen und tun und treiben, was ziemlich ist und gedeiht in der Nacht, die dem Werke günstig«, rief der Zar mit seiner Bassstimme. »Hat ein berühmter Dichter gesagt. Ist tot und vergessen. Wie so vieles heutzutage.«

43
    Wir schlichen im Gänsemarsch durch den Tunnel, Burger an der Spitze, dahinter der Zar, der Donard wie ein Schaf vor sich hertrieb. Donard hatte seinen anfänglichen Widerstand aufgegeben, besonders seit der Zar ihm gedroht hatte: »Eine falsche Bewegung und Mutter wird dich an die Brust nehmen.«
    Ich ging direkt hinter ihnen und starrte auf den breiten Rücken, der wie eine Wand vor mir aufragte. Das riesige Fleischerbeil in der Hand des Zaren blitzte im Schein unserer Lampen auf. Er sah aus wie ein Menschenfresser auf dem Weg zu seinen Opfern.
    Hinter mir lief Leela und hielt sich an meinem Gürtel fest. Bald würden wir in Berlin sein. Und bald würde ich Sönn und Cato gegenüberstehen. Seltsamerweise war mein Hass auf sie verschwunden. Ich empfand eher Mitleid mit den beiden.
    Plötzlich hob der Zar den Arm und bedeutete uns stehen zu bleiben. Er nahm eine gespannte Haltung ein und schnüffelte wie ein Hund. In der Dunkelheit vor uns war ein Geräusch zu hören.
    »Lampen aus!«, befahl der Zar. Das Letzte, was ich sah, bevor wir in der Schwärze versanken, waren die verfilzten Locken seiner Perücke, die sich wie kleine

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