Das Ende der Welt (German Edition)
kaufen«, warf ich ein.
»Muh!«, machte Leela und lachte. »Bei euch ist das anders. Ihr könnt euch eure Bräute aussuchen.«
Jetzt lachte ich. »Mein Ausbilder sucht mir eine Braut aus. Dafür kommt nicht jede in Frage.« Ich zählte mit den Fingern auf. »Eine Soldatenfrau muss kochen, Kinder gebären, das ewige Umziehen aushalten, unter einfachen Bedingungen leben können, sie darf sich nichts aus schönen Kleidern und Parfüm machen. Das hält nicht jede aus. Sönn hat mir versprochen, wenn ich zwanzig bin, wird er mir eine passende Braut suchen.«
»Das fällt ja jetzt weg«, bemerkte Leela.
Als wir uns ein Nachtlager gemacht hatten, lagen wir Rücken an Rücken und lauschten den Geräuschen, während wir langsam einschliefen. Leelas Froscheier waren mittlerweile alle, so ernährten wir uns von Morcheln und anderen Pilzen, die wir auf den Wiesen gesammelt hatten. Leela aß inzwischen alles, ohne zu klagen. Moos, Baumrinde, Gras, Blätter, Schnecken. Ich grub Würmer, Engerlinge, Asseln und Käfer aus. Sönn hatte mich gelehrt, was die Natur Essbares bereithielt. Während ich einen Hirschkäfer krachend zerkaute, musste ich an ihn denken. Warum hatte er mich geopfert? Er war doch so was wie mein Vater. »Du und deine Kameraden, ihr seid die neue Generation und müsst es besser machen. Aus euch werden wir die neue Welt formen. Ihr seid die Zukunft«, hatte er gepredigt. Vielleicht hatte Cato ihn ebenfalls getäuscht. Ich fragte Leela, was sie dachte.
»Er hat dich verraten, weil ihm nichts an dir liegt«, sagte sie.
»Genau wie bei dir«, sagte ich. »Dein Vater hat dich an Donard verhökert.«
Sie sah mich traurig an und drehte sich weg. Ich hörte sie leise weinen, traute mich aber nicht, sie zu trösten. Du bist ein Idiot, sagte ich zu mir selbst.
Sobald es dämmerte, zogen wir weiter. Nebel dampfte in den Wiesen. Vor uns schreckte lautstark eine Schar Haubentaucher hoch.
»Vorsicht!«, warnte ich Leela, die vor mir ging, »der Boden ist nicht fest.« Doch es war zu spät, und mit einem erstickten Ausruf versank sie im Sumpf. Klatschend schlug sie mit den Armen auf die Oberfläche, um nicht unterzugehen, doch sie sank unaufhörlich tiefer.
»Hilf mir«, rief sie panisch und schluckte etwas von der schlammigen Flüssigkeit, die sie hustend ausspuckte. Ich hielt ihr einen dürren Ast hin, den ich auf dem Boden gefunden hatte. Er war zu dünn und brach ab, als sie ihn umklammerte. Mittlerweile war sie bis zum Hals verschwunden.
»Dainpurtel«, rief sie und spuckte eine Ladung Schlamm aus.
»Was?«, schrie ich zurück.
»Deingurtel!«
Endlich verstand ich, knotete mit zittrigen Fingern meinen Gürtel auf und warf ihn ihr zu. Beim dritten Versuch fing sie das lose Ende und schlang es sich um das Handgelenk. Ich stemmte mich in den morastigen Grund und zog mit aller Kraft. Zentimeter um Zentimeter riss ich Leela aus dem klebrigen Schlamm. Als ich es geschafft hatte, fielen wir erschöpft um und lagen keuchend da.
»Verdammt«, sagte Leela atemlos. »Wieso hast du mich nicht gewarnt? Ich dachte, du kennst dich hier draußen aus.«
Aus ihren Haaren tropfte schlammiges Wasser.
»Ich wäre beinahe ertrunken, du Arschloch«, schrie sie und fing an zu weinen.
»Tut mir leid«, sagte ich zerknirscht. »Damit habe ich nicht gerechnet.«
»Das wäre ja auch noch schöner«, sagte sie schniefend.
»Von jetzt an gehst du voraus.«
20
In der Abenddämmerung des dritten Tages sahen wir die Schlote der Fabrik in der Ferne aufragen. Und gegen Mitternacht saßen wir versteckt im hohen Gras auf einer Anhöhe am Rand der Siedlung und beobachteten den matschigen Dorfplatz, um den sich die armseligen Backsteinhäuser der Zefs gruppierten. Die Laternen schaukelten im Wind und verstreuten ihr trübes Licht über die Siedlung.
»Und jetzt?«, fragte Leela.
»Keine Ahnung«, gab ich zurück.
»Hast du keinen Plan?«
»Doch, doch«, beruhigte ich sie. Dabei wusste ich nicht einmal, wo Roger wohnte.
»Da drüben ist das Gemeindehaus, da war ich schon mal drin«, sagte ich.
»Das ist ja schon mal was«, erwiderte Leela nur.
»Das müssen wir im Auge behalten«, sagte ich in der Hoffnung, dass Roger irgendwann dort auftauchen würde.
Aus der Fabrik ertönte eine Sirene: Schichtwechsel!
Nach und nach trudelten die Arbeiter ein. Am ölig-schwarzen Himmel konnte man durch die Wolken den Mond erahnen, der uns höhnisch anzugrinsen schien, denn Roger kam und kam nicht.
»Vielleicht ist er weggezogen«, mutmaßte
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