Das Ende der Welt (German Edition)
den Wäldern gelebt hatten, aber jetzt ausgestorben waren. Doch dieses Geräusch hatte ich noch nie gehört.
»Vielleicht Mutanten«, sagte Leela unsicher.
»Oder Schmuggler«, versuchte ich einen Witz.
Etwas brach jetzt ganz nah bei uns durch das Unterholz und brüllte ohrenbetäubend. Was es auch war, es würde uns bald auf der Lichtung überraschen. Eilig rafften wir unsere Sachen zusammen. Anfangs versuchten wir noch, leise zu sein, dann war es uns egal, und wir rannten los, denn etwas war uns dicht auf den Fersen.
»Los, da rein«, rief ich und dirigierte Leela zu einer riesigen Eiche, deren verschlungene Wurzel wie ein dichtes Geflecht rund um den Stamm wucherte und eine Höhle bildete. Wir zwängten uns durch die schmale Öffnung, wobei ich mir die Stirn an einem vorstehenden Dorn aufriss. Blut lief wie ein warmer Strom über mein Gesicht. In die hinterste Ecke des engen Baus gequetscht, starrten wir durch den Wurzelvorhang nach draußen. Mein Herz raste. Äste knackten, etwas kam auf unser Versteck zu. Ich hatte den schrecklichen Verdacht, dass das Biest mein Blut riechen könnte, und presste mir die Hand auf die Stirn, in der Hoffnung, den Geruch dadurch zu dämpfen. Wir atmeten flach und möglichst geräuschlos. Das Wesen kam schnüffelnd näher und gab ein tiefes Brummen von sich. Der Lautstärke nach musste es ziemlich groß sein. Vorsichtig schob sich eine braune, pelzige Pfote in unsere Höhle und tastete suchend umher. Sie war riesengroß und hatte lange Krallen, die über die Erde kratzten und tiefe Furchen rissen. Leela und ich pressten uns in den hintersten Winkel. Nur eine Handbreit trennte uns noch von der Pfote. Ich zog mein Messer, wobei ich nicht wusste, ob das klug war. Manche Tiere gerieten in einen regelrechten Blutrausch, wenn man sie verletzte. Doch die Krallen kamen näher. Ich hob das Messer. In diesem Moment hörten wir in der Ferne ein Brüllen. Unser Verfolger stieß ein enttäuschtes Fauchen aus, scharrte noch einmal über den Boden und zog sich dann zurück. Ich spähte durch die Öffnung und sah das Tier im Wald verschwinden.
»Los, raus hier«, rief ich, zerrte Leela aus dem Bau, und wir rannten los.
»Was war das?«, fragte Leela, als wir kurz verschnauften.
»Ein Bär!«, antwortete ich.
»So weit im Westen?«, sagte Leela.
»Vielleicht hat ihn der Krieg vertrieben«, sagte ich und zog sie weiter.
Wir liefen die ganze Nacht durch, begleitet von den unheimlichen Geräuschen eines nächtlichen Waldes, um im Morgengrauen erschöpft umzufallen.
19
Wir wanderten quer über die Felder. Vom Wald hatten wir vorläufig genug. Mittlerweile hatten Leela und ich wieder Frieden geschlossen. Ich hätte es ihr nie gesagt, doch ich bewunderte ihren Mut und ihre Entschlossenheit.
»Was macht ihr Soldaten eigentlich den ganzen Tag?«, fragte sie, als wir gerade über ein stacheliges gelbes Feld stapften und immer wieder bis zu den Knöcheln im Lehm versanken. Feiner Regen strich uns über die Gesichter. »Ich meine, wenn ihr keinen Dienst habt. Gibt es bei euch so was wie Kultur? Also außer Bier trinken und sich prügeln.« Das Letzte hatte sie lachend gesagt.
Ich überlegte krampfhaft, doch mir fiel nichts ein. Bis ich nach einer Weile sagte: »Wenn wir Zeit haben, reparieren wir unsere Ausrüstung. Wir stopfen Strümpfe, bessern Uniformen aus, waschen unsere Wäsche, ölen unsere Waffen oder spielen Karten.«
»Aha«, sagte Leela.
»Sonntags sezieren wir Hunde und suchen im Gehirn, ob sie ein Sprachzentrum haben«, fügte ich hinzu.
Sie sah mich besorgt an.
»Das war ein Witz«, sagte ich nach einer Weile.
»Oh!«, machte Leela. »Da hat ja doch jemand Humor.«
»Wer?«, rief ich, riss mein Messer raus und sah mich nach allen Seiten um. Leela prustete los. Es gefiel mir, sie zum Lachen zu bringen.
»Kennst du Octavius Deterling?«, fragte Leela.
Ich sah sie fragend an.
»Der Dichter.«
Was für ein weinerlicher Name, dachte ich. Damit blieb einem gar nichts anderes übrig, als Gedichte zu schreiben. Aber ich hielt den Mund. Wahrscheinlich ging es um Blumen, Liebe und Kinder und anderes sentimentales Zeug. Was Mädchen eben so lasen, bevor sie verheiratet wurden. Ich kannte das von den Soldatenfrauen.
»Er schreibt über das Leben«, sagte Leela. »So wie es wirklich ist.«
»Er schreibt nicht über Blumen?«, fragte ich.
Leela sah mich verständnislos an.
»Octavius Deterling beschreibt die Zustände in unserem Land. Die Zeit nach der Großen Katastrophe, den
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