Das Ende der Welt (German Edition)
»Aber seit ihrem Tod schlafe ich hier. Ihr könnt euch in diesem Raum verstecken, von außen kann keiner reinsehen.«
Die rauen Wände der winzigen Kammer waren eiskalt. Es roch modrig wie in einem Keller. Auf der Matratze lag eine schmutzige, löchrige Decke. Ich war an so etwas gewöhnt, doch Leela ekelte sich. »Wie kann man so leben?«, fragte sie Roger.
»Wieso?«, fragte er zurück. »So leben wir doch alle. Und immerhin habe ich ein Haus für mich allein. Viele Familien wohnen zu zehnt oder mehr in einer Hütte. Wenn ich das nötige Brautgeld zusammenhabe, werde ich hier mit meiner Frau wohnen.« Er war sichtlich stolz auf seine Behausung.
»Du schläfst im Bett, ich auf der Erde«, schlug ich Leela vor. Sie schauderte, nickte aber zustimmend.
Roger brachte uns ein Stück Brot, das wir gierig verschlangen. Die trockenen Bissen spülten wir mit muffigem Wasser runter. Neben der Spüle stand ein altes Radio.
»Was berichten sie denn aus der Hauptstadt?«, fragte ich kauend und zeigte auf den Apparat. Statt einer Antwort schaltete Roger das Radio ein. Es dauerte eine Weile, bis sich aus dem Knistern und Rauschen eine verzerrte Stimme herausschälte, die die aktuellen Brotpreise meldete, ein paar Hinrichtungen bekanntgab und über die Festnahme einer Terrorgruppe in Braunschweig berichtete.
Dann kündigte der Sprecher eine Rede des Kanzlers Cato an. Leela und ich sahen uns erschrocken an.
»Er spricht mehrmals am Tag«, sagte Roger begeistert und drehte lauter.
Volksbürger! , schnarrte Catos helle Stimme los. Ich zuckte zusammen. Für einen Augenblick hatte ich den Eindruck, er würde direkt neben mir stehen.
Langsam kehren wieder Ruhe und Ordnung ein. Die Aufständischen sind verhaftet und erschossen. Die Straßen unseres Landes wieder sicher.
Leela schluckte, wahrscheinlich dachte sie dasselbe wie ich, dass auch ihre Freunde aus der U-Bahn mit den Aufständischen gemeint waren.
Doch noch immer sind gefährliche Terroristen in unserem Land unterwegs und bedrohen unsere Sicherheit. Wir werden den Ausnahmezustand so lange aufrechterhalten, bis das Land befriedet ist und die Hintermänner des Umsturzes gefasst worden sind. Das wird nicht mehr lange dauern, wir sind den Terroristen auf der Spur und werden Burger und seiner kriminellen Bande bald das Handwerk gelegt haben. Ich spreche auch im Namen von Amandus, der mir aufgetragen hat, sein Volk zu grüßen. Ich habe ihm persönlich versprochen, die Bestie, die seine Tochter entführt hat, zur Strecke zu bringen.
Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich begriff, wer die Bestie sein sollte. Ich sah zu Leela, sie ballte die Fäuste.
Aufmerksame Volksbürger haben uns berichtet, dass die Bestie und ihre Geisel in der Nähe der Pestkolonie
Magdeburg gesehen wurden. Es wird nur noch eine Frage der Zeit sein, dass sie uns in die Netze geht. Vorsicht, die Bestie ist bewaffnet und macht rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch.
Cato verkündete noch ein paar Durchhalteparolen, dann verschwand seine geisterhafte Stimme, und Roger schaltete aus.
»Diese Schweine!«, sagte ich.
Leela schüttelte traurig den Kopf. »Das ist ihre Taktik: Lügen verbreiten.«
Roger sah uns verständnislos an. »Und wenn ihr zu Cato geht und euch entschuldigt?«, schlug er vor. Wir sahen ihn entgeistert an. Er hatte nicht das Geringste begriffen.
»Er ist ein großer Mann«, fuhr Roger fort. »Er bringt uns eine neue Zeit. Er braucht keine Feinde und ist für jede helfende Hand dankbar.«
Ich schluckte meine Wut runter, wo sie glühend heiß in meinem Bauch brannte. Ich sah Rogers blödes Schafsgesicht, seine Zefklamotten, seine Bedeutungslosigkeit und bekam Lust, etwas kaputtzumachen, aber in dieser ärmlichen Umgebung gab es nichts, was nicht schon zerschlagen war. Vielleicht sollte ich dich kaputtschlagen, dachte ich boshaft, bis mir klarwurde, dass ich mich nicht mehr von Roger unterschied. Ich war zum Opfer geworden, genau wie er. Ich wurde vom Strom der Macht hin und her gespült und hatte keinen Einfluss auf mein Schicksal. Und genau wie Roger würde ich in diesem Strom untergehen, wenn ich keinen Weg heraus fand. Leela legte mir die Hand auf den Arm, um mich zu beruhigen.
»Wie lange wollt ihr denn bleiben?«, fragte Roger.
»Ein paar Tage«, sagte Leela. »Bis wir wissen, wie es in Berlin weitergeht.«
»Wie soll es denn da weitergehen?«, fragte Roger unschuldig. Leela und ich sahen uns an. In seiner Dummheit hatte er eine kluge Frage gestellt. Ja, wie sollte es
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