Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
keynesianische Konsequenz ersetzt
hat, verspricht die große Rezession neue Erkenntnisse über die Entstehung und vor allem über die Verhinderung von Krisen.
Dieses drängende Thema ist Gegenstand des folgenden Kapitels.
|246| Kapitel 8
Erste Schritte
Dass auf Krisen Regulierungen und Reformen des Finanzsystems folgen, ist eine Binsenweisheit. Die Nahtoderfahrung einer Finanzkrise
regt viele Überlegungen an, was eine Regierung unternehmen kann und wie sich weitere Katastrophen abwenden lassen. Wie Harvard-Ökonom
Jeffrey Frankel auf dem Höhepunkt der jüngsten Krise trocken anmerkte: »›Im Schützengraben gibt es keine Atheisten‹, sagt
man. Vielleicht mangelt es ja aus demselben Grund in der Krise an libertären Denkern.« 1
Wie so vieles in der Krisenökonomie ist auch das ein wiederkehrendes Thema. Nachdem in Großbritannien 1825 eine Spekulationsblase
geplatzt war, die viele Banken in den Ruin getrieben hatte, verabschiedete das Parlament im folgenden Jahr ein Gesetz zur
Reform des gesamten Bankwesens. In den Vereinigten Staaten forderten Abgeordnete nach der Panik des Jahres 1907 eine Zentralbank,
die schließlich wenige Jahre später gegründet wurde.
Die Mutter aller Finanzkrisen – die Verkettung katastrophaler Entwicklungen, die als Weltwirtschaftskrise bezeichnet wird
– löste in aller Welt eine radikale Umgestaltung des Finanzsystems aus. 2 In den Vereinigten Staaten wurde mit dem Glass-Steagall Act die Einlagensicherung eingeführt. Das Gesetz gab der Federal
Reserve außerdem die Befugnis, die Bankreserven zu regulieren, und errichtete eine Brandmauer zwischen Geschäfts- und Investmentbanken.
Auch der Aktienmarkt wurde neu geordnet. Das |247| Wertpapiergesetz von 1933 verlangte von jedem Wertpapieremittenten, sich registrieren zu lassen und einen Prospekt herauszugeben.
Die Investmentbanken übernahmen die Emissionen und konnten für Fehler oder irreführende Angaben in den Prospekten strafrechtlich
belangt werden. Im Jahr darauf wurde mit der Securities and Exchange Commission die amerikanische Börsenaufsicht ins Leben
gerufen, die bis heute den Wertpapierhandel reguliert. Andere Länder führten ähnliche Maßnahmen ein, doch in den Vereinigten
Staaten waren die Reformen vermutlich am umfassendsten.
Aus historischer Sicht wäre also durchaus zu erwarten, dass die Vereinigten Staaten bei der Reform des Finanzwesens auch diesmal
eine Vorreiterrolle übernehmen würden. Die Turbulenzen enthüllten fundamentale operative Schwächen der amerikanischen und
europäischen Finanzmärkte, aber auch schwerwiegende Mängel des bestehenden Aufsichts- und Regulierungssystems. Dennoch verhallten
die dringenden Rufe nach Reformen im Laufe des Jahres 2010, und eine Neuordnung der Finanzaufsicht steht noch aus. So schnell,
wie der Soldat im Schützengraben seinen Schwur vergisst, ein besseres Leben zu führen, sobald das Feuer eingestellt wird,
so schnell arrangiert sich offenbar auch die Politik mit dem Status quo.
Das ist schon alles sehr ironisch. Wenn die Politiker bei dem Versuch, die Lage unter Kontrolle zu bekommen, genauso gescheitert
wären wie die Politiker Anfang der dreißiger Jahre, dann wäre das Geschrei nach Reformen jetzt ohrenbetäubend. Nichts hilft
der Politik so sehr auf die Sprünge wie allgegenwärtige Schlangen vor Suppenküchen und Arbeitslosenquoten von 25 Prozent.
Doch weil die Katastrophe dieses Mal geschickter abgebogen wurde, blieb auch der Antrieb zu einer umfassenden Strukturreform
des Finanzsystems auf der Strecke. Stattdessen schütten die überlebenden Banken ihren Managern Rekordprämien aus – ungeachtet
der Tatsache, dass sie ihre Existenz der Großzügigkeit des Steuerzahlers verdanken.
|248| Diese Reformmüdigkeit ist zutiefst bedauerlich. Wir leben in gefährlichen Zeiten, in denen die Strukturprobleme, die in die
Krise führten, weiter fortbestehen, während noch immer Länder und Volkswirtschaften in aller Welt von den Nachbeben erschüttert
werden. Dank drastischer Eingriffe in das Finanzsystem konnte ein gewisses Vertrauen wiederhergestellt werden. Die Umbauten,
die nötig sind, um dieses Vertrauen zu erhalten und einen Rückfall in die Krise zu verhindern, stehen jedoch noch aus. So
stellt sich die Frage, welche Reformen sinnvoll wären. Vorschläge liegen ja genug auf dem Tisch. Sie stammen von Organisationen
aus aller Welt: vom Forum für Finanzstabilität, von der amerikanischen Notenbank, vom
Weitere Kostenlose Bücher