Das Ende des großen Fressens - · Wie die Nahrungsmittelindustrie Sie zu übermäßigem Essen verleitet - · Was Sie dagegen tun können
Neurobiologie der Universität Harvard. [Ref 70] »Wenn ich in mein Arbeitszimmer gehe, weil ich eine Abhandlung über Neuroanatomie suche, kann eine Ablenkung mich von diesem Vorhaben abbringen. Wenn ich aber einer Belohnung nachjage, besonders einer ganz speziellen Belohnung, neige ich eher dazu, diese Aufgabe abzuschließen.«
Mit der Zeit kann die Verbindung von Signal und Belohnung sich weiter verstärken. Wiederholte Erfahrungen führen zu einer Sensibilisierung und intensivieren so die Assoziation. Diese Wirkung kennt man von Medikamenten: Sensibilisierung bedeutet, dass dieselbe Dosis bei wiederholter Anwendung eine stärkere
Wirkung haben kann. »Wenn Hinweisreize eine Anreizhervorhebung bewirken, haben sie Motivationskraft«, erläutert Berridge. »Und die kann entweder durch Lernen entstehen oder wenn eine Sensibilisierung einsetzt, die den durch den Hinweisreiz ausgelösten neuronalen Prozess verstärkt.«
Im Gespräch mit mir stellt Berridge die Theorie auf, dass nur ein Teil der Menschen eine erhöhte Anreizhervorhebung aufweist und Belohnungsessen deshalb vornehmlich bei dieser Gruppe zu vermehrter Nahrungsaufnahme führt. Berridge vermutet, dass diese Menschen intensiver auf Signale ansprechen, die auf Nahrung hinweisen, und deshalb leichter davon überwältigt werden, und zwar unabhängig davon, ob sie das jeweilige Nahrungsangebot mögen oder nicht.
Die Affen von Schultz und die Ratten von Carelli waren wie Pawlows Hunde auf die Erwartung konditioniert, dass einem Hinweisreiz eine Belohnung folgt. Wegen dieser erlernten Verbindung schütten sie schon angesichts des Reizes Dopamin aus. John Salamone und andere haben gezeigt, dass Dopamin anschließend dazu führt, dass wir belohnendes Essen zu uns nehmen, das wiederum den Opioidkreislauf in Gang setzt, der das Vergnügen noch verstärkt.
Wenn man die verschiedenen Studienrichtungen kombiniert, nimmt der Kreislauf klarere Konturen an: Ein Hinweisreiz löst ein dopamingetriebenes Verlangen aus … Dopamin treibt uns zur Nahrung … die Nahrungsaufnahme führt zu Opioidausschüttung … und die Koppelung von Dopamin und Opioiden fördert das Weiteressen.
Der Hinweisreiz bewirkt eine Erregung, wir jagen der Belohnung nach, erleben deren Freisetzung, und die Erregung lässt nach. Hinweisreize sorgen zuverlässig dafür, dass wir uns intensiv um die Belohnung bemühen. Dieses Konzept ist in der Nahrungsmittelindustrie gut bekannt, wo es beim Produktdesign vor allem darum geht, Vorfreude auszulösen.
11 | Wie uns Gefühle ans Essen erinnern
Angesichts der Macht von Zucker, Fett und Salz über unsere Sinne sollte man meinen, dass alle Menschen nach denselben Speisen lechzen. Aber das tun wir nicht, denn unsere Vorlieben sind stark durch frühere Erlebnisse geprägt. Bestimmte Lebensmittel sind so eng mit persönlichen Erfahrungen verbunden, dass sich diese Gefühle in unser Gedächtnis einbrennen.
Andrew, der Reporter, den wir zu Beginn kennengelernt haben, erinnert sich noch, wie er als Junge bei jedem Sieg seines Baseballteams zu Carvel mitgenommen wurde, einer legendären Eiskette in New York. Diese Kindheitserinnerung ist nach wie vor so präsent, dass er bei jedem Aufenthalt in New York mit seinem Verlangen kämpft, schnurstracks zu Carvel zu laufen. Nur seine Frau, die er scherzhaft als seinen »Hauptsponsor« bezeichnet, kann ihn davon abhalten.
Bei mir sind es Brezeln mit Schokoladenglasur, die emotional aufgeladen sind. Wenn ich an dem Hotel vorbeikomme, wo ich mir vor Jahren diese Brezeln geholt habe, erinnere ich mich daran, wie lecker sie waren, und wünsche mir wieder welche. Die Begleitumstände, die sich einmal um den Verzehr von Belohnungsessen gerankt haben, werden zum Kernstück einer Gefühlserfahrung, und dieses Gefühl wird im Gedächtnis so abgespeichert, dass es jederzeit abrufbar ist. Bei einem Hinweisreiz sind die Gefühle sofort präsent und lösen Verlangen aus.
Wenn solche positiven Assoziationen sich bei uns einnisten, können sie unser Verhalten sogar unbewusst lenken. Nahrung wird zu dem, was Walter Mischel als »heißen Reiz« [Ref 71] bezeichnet,
wenn sie im Gehirn eine emotionale Erregung auslöst und so dafür sorgt, dass unser Denken, Fühlen und Reagieren auf unser Verlangen ausgerichtet wird. Erinnerungen sind an die Belohnungsschaltkreise gekoppelt, die unser Verhalten antreiben.
Die Macht von Erinnerung und Belohnung wird durch eine Studie unterstrichen, bei der den Teilnehmern Bilder von verschiedenen
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