Das Ende des großen Fressens - · Wie die Nahrungsmittelindustrie Sie zu übermäßigem Essen verleitet - · Was Sie dagegen tun können
Wissenschaftler, dessen Dopaminstudien auf den Pawlow’-schen Ergebnissen aufbauen, ist Wolfram Schultz, Professor für Neurowissenschaft an der Universität Cambridge. Schultz interessiert sich für die Ursache und den zeitlichen Verlauf von Dopaminspitzen. [Ref 67]
Ein nicht stimuliertes Tier erzeugt relativ stabile Mengen Dopamin, doch sobald man ihm eine Belohnung anbietet, sind vorübergehend hohe Dopaminausschüttungen im Gehirn nachweisbar.
Schultz implantierte Tieren Elektroden in den Nucleus accumbens und konnte damit Zeitpunkt und Höhe der Dopaminausschüttung aufzeichnen. In einem Experiment überprüfte er, was geschieht, wenn man Affen als unerwartete Belohnung einen Schluck süßen Saft anbietet. Sofort schnellte der Dopaminspiegel in die Höhe.
Danach bekamen die Affen einen Seh- oder Hörreiz, dem praktisch unverzüglich derselbe Saft folgte. Sobald ihnen diese Abfolge vertraut war, veränderte sich das Muster der Dopaminspitzen. Aufgrund ihrer Lernerfahrung erkannten die Tiere den Hinweisreiz zunehmend als Signal, dass der Saft kam, und reagierten mit erhöhter Dopaminaktivität. Anstatt bei der Belohnung selbst zu reagieren, kam das Dopamin bereits als Reaktion auf den Reiz, der die Belohnung ankündigte. Da Dopamin die gerichtete Aufmerksamkeit beeinflusst, hat die Koppelung von Hinweisreiz und Belohnung eine starke Wirkung auf das Verhalten.
Regina Carelli, Psychologieprofessorin an der Universität North Carolina in Chapel Hill, beobachtete bei Versuchen zur elektrischen Aktivität im Rattengehirn Ähnliches [Ref 68] : Schon Millisekunden, nachdem das Tier ein Signal erhalten hatte, hatte es gelernt, es mit schmackhaftem Essen zu verbinden, denn diverse neuronale
Teilgruppen reagierten mit robuster Dopamin-Ausschüttung auf den konditionierten Reiz. Wenn das Signal hingegen keine Belohnung versprach, reagierte das Gehirn völlig anders–einige Nervenzellen wiesen eine viel geringere Reaktion auf, andere wurden praktisch überhaupt nicht aktiv.
Der Kontrast war deutlich: Signale, die mit Belohnungen in Verbindung gebracht werden, sorgen für elektrische Aktivität im Gehirn.
Um dieses Phänomen zu erklären, prägte Kent Berridge den Begriff der Anreizhervorhebung (incentive salience) [Ref 69] . Darunter versteht man das durch Hinweisreize aktivierte Verlangen nach etwas, das eine Belohnung verspricht. Es ist eine erlernte Assoziation –wir lernen das Verlangen nach einem bestimmten Lebensmittel oder etwas anderem, das wir einmal gemocht haben. Vielleicht mögen wir diese Speise inzwischen gar nicht mehr (was jedoch häufig nicht der Fall ist). In jedem Fall bringt uns das Verlangen, nicht das Mögen, dazu, uns dafür anzustrengen, dass wir diese Speise bekommen.
Für ein Verlangen, das durch einen Hinweisreiz ausgelöst wird, reicht Berridge zufolge schon »der Anblick eines Kekses, oder dass jemand sich eine Zigarette anzündet oder in einem Glas Alkohol die Eiswürfel klimpern. … Solche Hinweisreize haben die Macht, den Wunsch zu wecken, diese Substanz wiederzuerlangen. « Die Erfahrung macht das Signal zu etwas Besonderem. Sobald ein Reiz mit positiven Gefühlen in Verbindung gebracht wird, entwickelt er eine ganz eigene Macht.
Einige solcher Signale haben wir bereits kennengelernt. In Tierversuchen werden gern Geräusche oder Lichtsignale benutzt.
Bei uns Menschen kann nicht nur der Anblick einer Speise ein visuelles Signal sein, sondern auch der Anblick eines Restaurants, wo wir diese Speise schon einmal gegessen haben, die Straßenecke auf unserem Weg oder ein Werbeplakat für dieses Restaurant. Geräusche und Gerüche, aber auch indirekte Hinweise wie Tageszeit oder Ort können dieselbe stimulierende Macht ausüben. Dasselbe gilt für Personen und Stimmungen, die einmal positiv oder negativ mit einem Hinweisreiz verknüpft waren. Wenn es nach Kirschkuchen duftet, wird die Erinnerung an die Kochkünste der Großmutter geweckt, und wir verspüren ein Verlangen danach.
Mit dem Antrieb des Dopamins setzen diese Signale nun eine Suche nach Belohnung in Gang, die zu unserer überlebenswichtigen Grundausstattung zählt. Sobald ein Hinweisreiz vom Gehirn als Antrieb eingestuft wird, bringt Dopamin uns dazu, dass wir dem Objekt unserer Begierde nachjagen, und lässt uns nicht mehr so leicht vom Kurs abweichen.
»Die Jagd nach Belohnungen möchte in der Regel allen Hindernissen und Ablenkungen zum Trotz abgeschlossen werden«, ist der Kommentar von Steven Hyman, Professor für
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