Das Ende des großen Fressens - · Wie die Nahrungsmittelindustrie Sie zu übermäßigem Essen verleitet - · Was Sie dagegen tun können
einer einwöchigen Testphase hatte die Assoziation, dass dieses Futter krank macht, die Motivation der Tiere gelöscht, mehr davon zu fressen. Nach drei Wochen hingegen hatte sich eine Gewohnheit herausgebildet, und die Tiere handelten unbewusst. Das Ergebnis–sie fraßen Futter, von dem sie schon einmal krank geworden waren–schreckte sie nicht mehr von wiederholtem körperlichen Einsatz ab. Das ist eine Erfahrung, die viele Menschen kennen (auch ich). Dass ich einmal so viel Pizza gegessen habe, bis mir schlecht war, hindert mich nicht daran, sie wieder zu essen.
Je stärker eine Speise das Belohnungszentrum aktviert, desto stärker ist die Lernerfahrung, die zu automatischem Verhalten führt. Das ist die Gefahr der Gewohnheit. Andererseits haben Gewohnheiten auch ihr Gutes. Wenn wir lernen, die ganze Sache umzudrehen, können wir irgendwann neue Gewohnheiten ausbilden, die uns motivieren, uns andere, gesündere Belohnungen zu suchen.
Die Lebensmittelindustrie
14 | Satt, aber nicht zufrieden
Meine jahrelange Forschungstätigkeit lehrte mich, wie Zucker, Fett und Salz unser Gehirn verändern. Ich verstand gewisse Parallelen zwischen geschmacksoptimierten Nahrungsmitteln und illegalen Drogen sowie die Verbindung zwischen der Stimulation unserer Sinne, Hinweisreizen und dem Gedächtnis. Ich hatte genug Menschen wie Claudia und Maria kennengelernt, um zu begreifen, wieso sie allein beim Gedanken an Essen die Beherrschung verlieren konnten.
Aber ich wusste noch immer nicht, was Hamburger oder Paprikachips so unwiderstehlich macht und auf welche Weise lila Kühe uns verführen können. Auch ohne die entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse hat die Lebensmittelindustrie begriffen, was sich verkauft.
Wenn wir davon sprechen, wie komplex Gerichte zusammengesetzt sind, geht es nicht um die traditionelle Komplexität der gehobenen Gastronomie, regionaler Spezialitäten oder der Gerichte bestimmter Volksgruppen. Die westliche Nahrungsmittelindustrie versteht unter Komplexität eher viele, stark angereicherte Schichten anstelle einer gekonnten subtilen Verwendung hochwertiger Zutaten. Das fällt besonders Gästen aus anderen
Kulturen auf. Yoshiyuki Fujishima, Manager bei Ajinomoto, einem der größten Lebensmittelkonzerne Japans, ist der Ansicht, dass diese Fertiggerichte grundsätzlich schlechter sättigen als traditionelle japanische Speisen.
»Was ich in Japan esse, ist mit großer Sorgfalt zusammengestellt. Schon eine kleine Menge stellt mich zufrieden«, konstatiert er. Bei amerikanisierten Gerichten und Fertigmahlzeiten hingegen, »braucht man viel, bis man sich satt fühlt«. [Ref 85]
Die traditionelle Kochkunst soll satt und zufrieden machen. Industrienahrung jedoch soll zum Essen anregen und besteht weitgehend aus »schnellen Kalorien«. Gail Vance Civille, die eine Beratungsfirma für die Lebensmittelindustrie leitet, erklärt mir, dass Amerikaner einen Bissen früher volle 25-mal kauten, bis sie ihn hinunterschlucken konnten. Heute sind es gerade noch zehnmal. [Ref 86]
Das liegt teilweise daran, dass das allgegenwärtige Fett wie ein Gleitmittel wirkt. Wir essen nicht mehr so viel mageres Fleisch, das erst durch reichlich Speichel gut zu schlucken ist. »Wir wollen fetthaltigeres, marmoriertes Fleisch, das beim Essen im Mund schmilzt«, erklärt Civille. Was im Mund schneller zerfällt, ist leichter zu essen. »Wenn Fett drinsteckt, brauche ich nur kurz zu kauen, und schon ist alles weg.«
John Haywood, ein erfolgreicher Entwickler von Restaurantkonzepten, kann ihr da nur zustimmen. Verarbeitung erzeugt seinen Worten zufolge eine Art »Babynahrung für Erwachsene«. [Ref 87] Unter »Verarbeitung« versteht er dabei insbesondere die Entfernung aller Eigenheiten von Vollwertkost (Fasern, Spelzen und Schalen), die schwerer zu kauen und zu schlucken sind. Auf diese Weise entsteht Nahrung, deren Verzehr kaum noch Mühe bereitet. »Das rutscht so leicht, dass man beim Essen kaum noch darüber nachdenken muss«, sagt Haywood.
Der Experte, der mich über die Geheimnisse der Lebensmittelindustrie aufklärte, sieht das ganz genauso. [Ref 88] »Wir haben mit der Zeit eine Art Metamorphose durchlebt. Nahrungskalorien wurden immer leichter zugänglich.« Er meint damit den hohen Verfeinerungsgrad heutiger Nahrung, zum Beispiel bei poliertem Reis oder Mehl ohne jede Kleie. Deshalb ist Nahrung heute »hell und weiß und ganz leicht zu schlucken. Sie bleibt nirgendwo stecken. Ohne viel zu kauen bekommt man jede
Weitere Kostenlose Bücher