Das Ende des großen Fressens - · Wie die Nahrungsmittelindustrie Sie zu übermäßigem Essen verleitet - · Was Sie dagegen tun können
Silbermöwen und Graugänsen zeigte sich dasselbe Phänomen. [Ref 59] Beide Vogelarten bevorzugten das Ei, das sie rein biologisch unmöglich hätten legen können.
Schmetterlinge verhalten sich genauso. Wenn ein Männchen ein Weibchen umwirbt, nimmt es das Weibchen, das am schnellsten mit den Flügeln schlägt. Angesichts eines künstlichen Reizes, der noch schneller flattert, lässt es das Weibchen links liegen.
Die meisten maßgeblichen Untersuchungen zu Superreizen wurden schon vor Jahrzehnten durchgeführt [Ref 60] , auch wenn einige Autoren und Wissenschaftler das Thema im Zusammenhang mit Ernährung neuerdings wieder aufgreifen. [Ref 61] Ich wollte mich mit einem der Pioniere auf diesem Gebiet unterhalten und kontaktierte John Staddon, inzwischen Professor für Biologie und Neurobiologie an der Duke Universität. Meine Anfrage schien ihn zu erstaunen. »Dazu habe ich vor Urzeiten mal was geschrieben«, meinte er überrascht, dass ich sein Werk entdeckt hatte.
Ich wollte seine damaligen Ergebnisse genauer unter die Lupe nehmen, weil ich überlegte, ob sie vielleicht auch auf Nahrung übertragbar sind.
Staddon und ich sprachen über das Konzept des »asymmetrischen Selektionsdrucks«. Vom evolutionären Standpunkt aus ist es sinnvoll, wenn ein Vogel das größere Ei dem kleineren vorzieht. Kleinere Eier sind häufiger nicht überlebensfähig, so dass eine Spezies, die regelmäßig solche Eier bevorzugt, wahrscheinlich nicht dauerhaft überlebt hätte. Die Vorliebe für Rieseneier ist die logische Folge einer Vorliebe für das Ei, das am ehesten überlebensfähig erscheint.
Ich bat Staddon um eine Stellungnahme zu unserer heutigen Ernährungsweise. »Ich ernähre mich von Fett und Zucker, die eine hohe Energiedichte aufweisen. Und diese Produkte habe ich künstlich geschaffen. In der Wildnis gab es so etwas nicht. Ist das ein Superreiz?«, frage ich ihn.
Staddon hält dies für möglich. »Das ist nicht nur übertrieben, sondern auch in der Natur nie dagewesen.« Diese Merkmale zählen zur Definition eines Superreizes. »Warum bevorzuge ich einen übertriebenen Reiz?« Für seine Erklärung greift Staddon wieder auf den asymmetrischen Selektionsdruck zurück: »Unsere Vorfahren wurden bestraft, wenn sie einen ungewöhnlich kleinen Reiz bevorzugten, aber nicht, wenn sie einem ungewöhnlich großen Reiz nachjagten.« Seinen Worten zufolge hat uns die Evolution einen »Präferenzgradienten« beschert–ob Riesenei oder geschmacksoptimierte Lebensmittel, immer scheint viel erstrebenswerter zu sein als wenig .
Die enorme Auswahl von heute lässt uns auf diesem Gradienten noch weiter gehen. »Der Selektionsdruck bewirkte, dass mehr Zucker stets besser war als weniger«, erläutert Staddon. Der Zuckergehalt moderner Lebensmittel übersteigt unseren natürlichen Erfahrungshorizont–und das bedeutet, dass wir umso mehr danach gieren.
10 | Aktivierung der Gehirnschaltkreise, die unser Verhalten steuern
Unsere Gehirnaktivität wird nicht nur durch die Nahrung selbst angeregt, sondern schon durch Hinweise, dass es irgendwo in der Nähe etwas zu essen gibt. Zunächst müssen wir durch Erfahrung lernen, dass ein Hinweisreiz mit einer bestimmten Speise in Verbindung steht. Sobald dies erfolgt ist, erzeugt eher das Signal, das auf die Speise hindeutet, als die Speise selbst die Dopaminreaktion. Damit wird bereits dieser Hinweisreiz zum Auslöser des Verlangens, und wir sprechen von einem »konditionierten Reiz«. Der Hinweis greift und verführt uns zum Handeln.
Schon im Biologieunterricht hören Schüler von Pawlow und seinen Hunden. Ende des 19. Jahrhunderts begann der russische Wissenschaftler Iwan Petrowich Pawlow, die Reflexreaktionen seiner Tiere zu untersuchen. Bei seinem bekanntesten Experiment zeigte er, dass Hunde, wenn er während des Fütterns eine Glocke läutete, den Klang der Glocke bald mit dem Futter in Verbindung brachten. Irgendwann setzte bei den Hunden schon beim Läuten der Glocke die Speichelbildung ein, auch wenn es gerade kein Futter gab. Die Glocke wurde zum konditionierten Reiz und erzeugte eine vorhersehbare Reaktion.
Eine Konditionierung kann sehr rasch eintreten. [Ref 66] In einer Studie erhielten die Teilnehmer fünfmal in Folge morgens eine zucker- und fettreiche Zwischenmahlzeit. Noch Tage später verspürten sie jeden Morgen um diese Zeit den Wunsch nach etwas Süßem, auch wenn sie vorher nie um diese Zeit genascht hatten. Das Verlangen hatte sich bereits festgesetzt.
Ein
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