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Das Ende des Himmels: Roman (German Edition)

Das Ende des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peadar O´Guilín
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Erschöpfung hielt der Jäger weiter auf einen fernen Hügel zu. Er wollte sich seinen Feinden oben auf der Kuppe stellen.
    »Ach, er ist doch noch ein kleiner Junge!«, rief Tarini.
    »Bei sämtlichen Göttern«, erwiderte Hiresh und konnte nicht vermeiden, dass hörbare Abscheu in seiner Stimme mitschwang. »Siehst du nicht, dass der Fleischfresser immer noch Blut an den Zähnen hat? Bin ich der Einzige, dem das auffällt?«
    Tarini sagte nichts dazu. Im realen Leben jedoch bewegte sie sich, als wollte sie ein Stück von ihm abrücken. Viel Erfolg damit , dachte Hiresh nur.
    In Wirklichkeit hätte er ihr gern gesagt, dass es ihm leidtat. Irgendwie. Er wusste, wie sehr sie den Wilden bewunderte. »Empfindest du gar nichts für ihn?«, hatte sie ihn immer wieder gefragt.
    Hiresh legte dann jedes Mal die Handflächen auf verschiedene Stellen seines Oberkörpers. »Vielleicht … Warte! … Moment! … Ach nein … Ich dachte, da wäre etwas, aber doch nicht. Nein, tut mir leid, ich empfinde nichts für ihn.«
    Das stimmte natürlich nicht ganz. Er empfand Abscheu. Er empfand Entsetzen. Was die Kannibalen auf der Oberfläche trieben, erinnerte Hiresh viel zu sehr an all das, wovor er weggelaufen war. Dinge, über die er nicht gern nachdachte. Aber trotz der Muskeln, die er inzwischen entwickelt hatte, könnte der Jäger höchstens ein Jahr älter sein als Hiresh, und er war genauso ein Außenseiter wie er. Die anderen Oberflächenbewohner hatten ihn Stolperzunge genannt, um sich über sein Stottern lustig zu machen. Gegenüber den Traumata seines Leben mussten selbst die Erfahrungen der Flüchtlinge aus dem Obergeschoss verblassen.
    Aber nichts hatte seine Fähigkeit zu rennen beeinträchtigt!
    Hiresh beobachtete, wie er sich zwischen Felsbrocken hindurchwand und über eingestürzte Wände sprang, und roch (zweifellos genauso wie Stolperzunge) den beißenden Brandgestank von zerdrücktem Moos. Der Jäger hatte seine Verfolger abgehängt, aber die Kreaturen waren geduldig, und das Blut, das ihm vom Ellbogen tropfte, bedeutete vermutlich, dass sie seine Spur niemals verlieren würden. »Es mag sein, dass er ein Held ist«, murmelte Hiresh, »aber er wird es nicht mehr lange machen, und nächste Woche werden wir jemand anderen beobachten.«
    »Es reicht jetzt, Hiresh! Du bist immer so eifersüchtig auf ihn!«
    »Eifersüchtig?« Wie kam sie plötzlich darauf?
    Der erschöpfte Wilde blieb stehen, weil er sich den Fuß gestoßen hatte. Tarini hielt den Atem an.
    »Ach, warum müsst ihr alle um ihn weinen?«, plapperte Hiresh. Der Wilde hatte bereits eine zivilisierte Frau verdorben und sie in eine widerliche Menschenfresserin verwandelt, die nicht besser als er selbst war. »Er ist kaum mehr als ein Tier!«
    Doch dann vergaß er all diese Gedanken, als der Jäger sich den Wesen zuwandte, die ihn verfolgt hatten.
    Halb bewusst nahm Hiresh wahr, dass es in der realen Welt des Gemeinschaftsraums schlagartig völlig still geworden war. Einhundert junge Männer und Frauen hielten den Atem an und versuchten ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen. Die blassen Muskeln des Jägers zitterten. Unter dem Schweiß auf seinen Schultern schimmerte die bunte Tätowierung eines knurrenden Feindes.
    Hiresh ließ sich noch tiefer in die Übertragung sinken. Wieder nahmen seine Ohren den keuchenden Atem des Wilden wahr. Die Luft da unten war warm und schwül und voller Insekten.
    Stolperzunge warf sein tropfnasses Haar zurück. Er legte den Kopf in den Nacken und starrte einen Moment lang seinen Zuschauern genau in die Augen. Die Illusion war perfekt – so perfekt, dass Hiresh murmelte: »Das ist nichts Persönliches, Wilder.« Als könnte der Deserteur ihn hören. Er war schließlich immer noch ein Mensch. Ein menschliches Wesen. Mehr oder weniger.
    Stolperzunge zuckte zusammen und wandte sich wieder seiner Umgebung zu. Wenig später hörte es auch Hiresh: einen Regen aus kleinen Steinen, einige von hinten, einige von vorn.
    Der erschöpfte Jäger ging in die Hocke, den Speer ausgestreckt, und seine seltsamen grauen Augen blickten sich nach Feinden um. »K-k-kommt schon«, murmelte er.
    Und sie kamen. Hiresh spürte, wie sich sein leerer Magen bei ihrem Anblick verkrampfte. Zwei gedrungene Aliens kamen wankend aus dem Morgennebel hervor. Sie bewegten sich dicht am Boden wie Eidechsen auf der fernen Erde. Weil Hiresh eine Perspektive unmittelbar hinter Stolperzunges Schultern gewählt hatte, sah es gleichzeitig so aus, als würden sie genau

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