Das Ende des Himmels: Roman (German Edition)
denen sich die Stadtbewohner drängten, die Augen geschlossen, um für einen Moment ihrem Elend zu entrinnen. Träumer wurden sie genannt. Hiresh hatte es ein paarmal mit dem Träumen versucht, seit er von zu Hause fortgelaufen war. Es war überhaupt nicht schwer: Ein einfacher Gedanke genügte, um sich in den Dachraum einzuloggen, eine virtuelle Umgebung, in der alles bekannt und alles möglich war.
Eine Nacht lang hatte er als König gelebt und gegen Riesenschlangen und ihre schleimhäutigen menschlichen Sklaven gekämpft. Er hatte die Tiefen des Weltraums erkundet und Frauen geliebt, die viel, viel hübscher als Purami waren. Er war ein berühmter Sportler gewesen und hatte als einer der Wilden auf der Oberfläche gejagt. Doch nach einer Weile hatte er ein viel besseres Spiel entdeckt: Das Dach ermöglichte es ihm, seine Erinnerungen noch einmal zu durchleben, wobei die schrecklichen Dinge ausgelassen und die Fehler korrigiert wurden. Aber das alles war nicht real. Manchmal wachte er auf einem stinkenden, überfüllten öffentlichen Platz auf, wo sich hoffnungslose Flüchtlinge aus dem Obergeschoss drängten, und er wusste, er wusste einfach, dass es für ihn nicht genug war, dass keine bloße Illusion ihn heilen konnte.
Er schaute nach Chakrapani, der immer noch bewusstlos war, und beschloss, Tarani zu suchen, um sich wieder mit ihr zu versöhnen. Sie blockierte weiterhin seine Anrufe, aber er wusste, wo sie sich aufhalten musste. Er verzog die Lippen.
Der Auslöser des Streits zwischen seinem Meister und Purami war die Misere eines der mordlustigen Oberflächenbewohner gewesen. Seit das Leben im Dach unter der Krise litt, boten die realen Kämpfe um Leben und Tod unter den Wilden eine spannende Abwechslung, an die kein virtuelles Unterhaltungsprogramm herankam. Viele der Kannibalen wurden berühmt, sie hatten Fan-Clubs, und ihre Namen verbreiteten sich im Dach via Graffiti. Es spielte keine Rolle mehr, dass ihre Vorfahren die Erde mit ihrer Habgier beinahe vernichtet hätten! Nachdem sie alles vergiftet hatten, war der Abschaum geflohen und hatte die ärmeren Nationen auf ihrer verwüsteten Heimatwelt zurückgelassen, damit sie dort starben.
Nun war einer ihrer Nachfahren, der stotternde Killer namens »Stolperzunge«, zum neuen Schwarm der Massen geworden. Diese Geschichte würde wahrscheinlich noch heute ihr Ende finden. Seine Fans würden sich versammeln, um ihn zu bejubeln oder seinen Tod zu betrauern.
Hiresh erschauderte. Er hatte ein paarmal zugesehen, nur um Tarini Gesellschaft zu leisten, aber das Spektakel widerte ihn zutiefst an. Trotzdem geschah es sehr selten, dass sie sich stritten, und wenn sie es taten, war es stets Hireshs Aufgabe gewesen, zu ihr zurückzukriechen.
Er nahm seine gereinigte Kleidung entgegen und zog sich an. Er schaute noch einmal bei Chakrapani vorbei und stellte fest, dass der Mann nach wie vor schlief, auch wenn er jetzt ein wenig zuckte. Interessant. Hiresh wies das Bett an, sich zu verbreitern, damit sein neuer Meister seinen kostbaren Körper nicht verletzte, wenn er herunterfiel. Dann war Hiresh weg.
Ein paar Diener streiften durch die Gänge, aber von den Auszubildenden war weiterhin nichts zu sehen. Ihr virtuelles und reales Training war zu Ehren von Stolperzunges letztem Gefecht abgesagt worden. Sie hockten dicht an dicht im Gemeinschaftsraum der Auszubildenden und lachten und scherzten oder saßen voller Anspannung da. Sie kamen von überall und sprachen über ein Dutzend verschiedene Sprachen, aber da das Dach jedes Wort perfekt übersetzte, fiel es niemandem mehr bewusst auf. Sie achteten auch kaum auf die Wände, die Bilder der verlassenen Straßen von Menschen-Wege zeigten.
Die Krisengeneration fühlte sich in einem solchen Gedränge wohler. Diese Leute liebten Kameradschaftlichkeit und vermissten keine Privatsphäre, weil sie es nicht anders kannten. Wetten wurden abgeschlossen – wie lange würde sich der Deserteur in diesem Kampf behaupten können? Wie viele andere würde er töten oder verletzen?
Tarini hatte sich wie immer in eine Ecke des Gemeinschaftsraums zurückgezogen und gab vor, am Gespräch zweier anderer Mädchen interessiert zu sein – als hätte sie außer Hiresh noch irgendwelche Freunde oder Freundinnen! Er grinste und bemerkte, dass sie versuchte, ihn zu ignorieren. Menschenmengen waren kein Problem für jene, die seit Beginn der Krise aufgewachsen waren, und er konnte sich ohne große Schwierigkeiten hindurchschlängeln, bis er genau
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