Das Ende des Zufalls - Wie Big Data uns und unser Leben vorhersagbar macht (German Edition)
Abgeordneten mit unzähligen Einzelbelegen. 142
„Guardian“-Redakteur Simon Rogers schreibt an diesem Tag über die Offenlegung der Daten: „Es ist eine Veröffentlichung riesiger Mengen von Daten, ungeheuer offen und gleichermaßen extrem verschlossen. Offen, weil es einen beispiellosen Zugang zu den Spesenabrechnungen der Abgeordneten über einen großen Zeitraum ermöglicht. Verschlossen, weil wesentliche Daten wie Adressen und persönliche Details geschwärzt, und damit unmöglich zu analysieren sind.“ Doch der „Guardian“ weiß sich zu helfen. Er schickt das Big-Data-Paket in die Cloud seiner Leserschaft. „Hier brauchen wir Ihre Hilfe“, schreibt Simon Rogers und lädt die User ein, gemeinsam in einem Crowdsourcing-Projekt die Belege durchzugehen und zu markieren, welche Dokumente auch wirklich Informationen enthalten. Und ob sie eventuell überprüfenswert sind. „Mit diesen Informationen können wir uns ein Bild machen, wie die Spesenabrechnungen sich entwickelt haben.“ 143
Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: 460.000 Dokumente wurden von 26.777 registrierten Lesern überprüft. Allein in den ersten 80 Stunden wurden 170.000 Dokumente gecheckt. Die meisten Abgeordneten begannen daraufhin, ihre eigenen Abrechnungen nochmals zu überprüfen und viele zahlten vereinnahmte Spesen zurück, um einer offiziellen Untersuchung zuvorzukommen. Manche traten bei der nächsten Wahl gar nicht mehr um ihren Parlamentssitz an. Die Rückzahlungen der Abgeordneten wurden zu einem weiteren Thema, das via Datenvisualisierung entsprechend transparent gemacht wurde. Am Ende kam es zu einer offiziellen Untersuchung und trotz der Rückzahlungen gab es noch immer mehr als eine Million zu Unrecht verrechneter Spesen. Eine Reihe von Abgeordneten beider Häuser wurde angeklagt und zu Haftstrafen verurteilt.
In den 1990er-Jahren war die Einschätzung der Bedeutung des Datenjournalismus zunächst noch sehr zwiespältig. Komplexität der Daten und die fehlende Fachkenntnis bei Journalisten, diese Daten auch entsprechend auswerten zu können, trugen zu der anfänglichen Skepsis bei. Doch die immer größere Bereitschaft der öffentlichen Verwaltung, Daten auch wirklich zugänglich zu machen, die sinkenden Kosten und größere Einfachheit in der Bedienung der Tools, die für die Auswertung großer Datenmengen notwendig sind, und vor allem die Explosion an Daten, die plötzlich über die sozialen Medienkanäle zur Verfügung standen, änderten diese Einstellung. 144 In der Zwischenzeit konnte sich die Idee des datengetriebenen Journalismus immer mehr etablieren. Die Datablogs des „Guardian“ und der „New York Times“ oder der Data Desk der „LA Times“ zeigen, was im Medienbereich mit Daten innovativ gemacht werden kann.
Am 13. Juni 2013 werden zum zweiten Mal die Data Journalism Awards (DJA) 145 vergeben. Es ist dies der erste globale Wettbewerb, der herausragende Arbeit im Bereich Daten-Journalismus auszeichnet. Ziel ist es nicht nur, „Best Practice“-Beispiele zu präsentieren, sondern vor allem auch, den Entscheidern im Medienbereich den Wert von gutem Datenjournalismus vor Augen zu führen. Denn in vielen Medienunternehmen ist das Interesse noch auf Lippenbekenntnisse beschränkt. In Deutschland sind bis jetzt vor allem die „Berliner Morgenpost“, die „Süddeutsche Zeitung“, „Die Welt“ und „Die Zeit“ aktiv.
Marco Maas ist mit seinen Kollegen Lorenz Matzat und Michael Kreil einer der Daten-Journalismus-Pioniere in Deutschland. Für das ZDF haben sie das „Parlameter“ 146 entwickelt, eine interaktive Daten-App rund um die Aktivitäten des deutschen Bundestags. In ihrer gemeinsamen Firma „OpenDataCity“ 147 arbeiten die drei hauptsächlich an Open-Data-Projekten. Fragt man Maas, wen er in Deutschland für etablierte Datenjournalisten hält, ist die Zahl noch überschaubar: „Die besten Ansätze sehe ich derzeit bei der ‚Süddeutschen‘ mit Stefan Plöchinger. Das große Schlachtschiff ‚Spiegel‘ wird heuer vermutlich auch größere Projekte umsetzen, Friedrich Lindenberg ist im Rahmen einer Knight Foundation Sponsorship für ein Jahr dort und soll als ‚Katalysator‘ arbeiten“. Er nennt auch Julius Tröger 148 von der „Berliner Morgenpost“ als Beispiel für einen der wenigen Journalisten, die auch versuchen, bis zu einem gewissen Grad selbst zu programmieren, Christina Elmer aus der „Stern“-Investigativ-Redaktion, Lars-Marten Nagel, der im Investigativ-Bereich der
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