Das Ende
dunkle, kraushaarige Italiener hielt inne und lächelte seine schwangere Frau an. »Ja, mein Engel? Was möchte dein Herz von mir?«
Was möchte ich denn? Mir tut der Rücken weh von dieser strampelnden Bowlingkugel, die ich vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche hebe, meine Füße bringen mich um, und meine Hämorrhoiden fallen mir schneller aus dem Arsch, als man gucken kann. Was ich möchte, ist, dass du aufhören würdest, unsere Ersparnisse für diese Verlierertypen anzuzapfen, oder dass du wenigstens in der Lotterie gewinnen würdest, damit du mich aus alldem herausholen könntest!
Sie blickte wieder auf die Prozession der Obdachlosen, deren durchgelaufene Schuhe patschnass waren von den Pfützen aus Schneematsch. Durch ihre Not fügsam gemacht, verbrachten sie ihre Tage im Überlebensmodus. Und doch hatte jedes Leben einst Hoffnung und Potenzial gehabt.
Wie ihr ungeborenes Kind …
»Francesca?«
Sie strich sich eine dunkle Haarsträhne aus den Augen und erwiderte das Lächeln ihres Mannes. »Verbrenn dich nicht, Liebling, der Herd ist sehr heiß.«
Zwei Blocks südlich von Minos’ Pizzeria und einen Block östlich des Riverside Park stand das Manhasset, ein elfstöckiger, hundert Jahre alter Backsteinbau. Eine Zweizimmerwohnung kostete hier über eine halbe Million Dollar – Waschmaschine und Trockner nicht inbegriffen.
Die nach Westen liegende Wohnung in der zehnten Etage des Manhasset war jetzt dunkel, die schweren Vorhänge waren zugezogen, und ihre Enden wurden durch dicke Lehrbücher gegen die Erkerfenster gedrückt, um zu verhindern, dass auch nur ein Schimmer des trüben Morgenlichts ins Zimmer drang. Nur eine einzelne Flamme beleuchtete das Geschehen; die Kerze stand hinter der Hindufrau auf dem Fußboden.
Die Totenbeschwörerin schloss die Augen. Sie war mit ihrer traditionellen weißen Tunika angetan und trug keinen Schmuck – bis auf den Kristall, den sie an einer Goldkette um den Hals hängen hatte. Dieser Kristall war auf die Schwingungen des Überirdischen abgestimmt, er war ihr Kanarienvogel im Kohlebergwerk, ein Mittel, das sie auf den Wunsch ihrer spirituellen Gefährtin zu kommunizieren aufmerksam machte.
In Nepal die Kunst der Totenbeschwörung zu studieren war nicht anders, als ein Musikinstrument zu erlernen – für manche war es bloß ein Hobby, für andere eine Leidenschaft, die vielleicht zur Meisterschaft führte, vorausgesetzt, man besaß das nötige Talent. Was die Verständigung mit den Geistern der Toten anlangte, so besaß Manisha Pande die Blutlinien der Begabten. Geboren in einem Dorf im Himalaja, stammte sie mütterlicherseits von Totenbeschwörern ab, die bis auf das antike Persien zurückgingen. Im Mittelalter hatte die Praxis der Nekromantie Europa erreicht, wo sie von selbst ernannten Magiern und Hexenmeistern verdorben – und von
der katholischen Kirche als Hilfe für böse Geister verurteilt wurde. Doch in Nepal konnte jemand, der talentiert war, nach wie vor gut von der Ausübung des Gewerbes leben.
Trotz ihrer angeborenen Fähigkeiten wuchs Manisha in dem Glauben auf, zu etwas anderem berufen zu sein. Ihr Vater Bikash und ihre Onkel väterlicherseits waren alle Ärzte, und das halbwüchsige Mädchen verspürte den starken Wunsch, anderen zu helfen. Als sie sechzehn wurde, flehte Manisha ihren Vater an, sie nach Indien gehen zu lassen, wo sie bei einem ihrer Onkel wohnen wollte, damit sie Psychiatrie studieren konnte. So hoffte sie, später Frauen behandeln zu können, die Opfer des Menschenhandels geworden waren. Dieses Gewerbe erlebte in Nepal und ganz Asien einen beängstigenden Boom, und Tausende von Frauen wurden entführt und als Sexsklavinnen verkauft.
Manisha war überrascht, als ihr Vater einwilligte, ihre Pläne zu unterstützen. Was sie nie erfuhr, war, dass Dr. Bikash Pande Jahre zuvor von einem Mitglied einer Geheimgesellschaft angesprochen worden war. Dieser Mann hatte mit ihm vereinbart, dass die talentierte Tochter des Arztes eines Tages das Wunderkind einer anderen Familie – der Patels – kennenlernen sollte, deren ältester Sohn, Pankaj, sich ebenfalls in die psychologische Wissenschaft vertiefte, allerdings nur, soweit sie die Genese des Bösen betraf.
Manisha Patel atmete ein und aus und wartete auf das Erscheinen ihrer spirituellen Führerin.
Die Totenbeschwörung war eine Kunst, die darauf angewiesen war, Beziehungen zu den Verstorbenen herzustellen. Einen Geist konnte man weder herbeizaubern
noch ihm befehlen
Weitere Kostenlose Bücher