Das Erbe - Das Tal - Season 2 ; Bd. 2
er. Ich hörte die Erleichterung in seiner Stimme.
Mein Blick folgte seiner Hand.
Tatsächlich, links von mir tauchte Benjamin im Nebel auf, angestrahlt von den Scheinwerfern des Busses. Er hielt seine Kamera in den Händen.
Ich zog Robert zur Seite.
»Wo sind die anderen?«, rief ich. »Hast du einen von ihnen gesehen?«
Benjamin schüttelte den Kopf. »Soweit ich weiß, hat noch keiner von ihnen das Gebäude verlassen. Sie müssen noch drinnen sein.«
»Was machst du hier?«, fragte Robert. »Filmst du?«
Benjamin grinste, doch gleich darauf wurde sein Gesicht wieder ernst. »He, die wollen, dass ich das mache. Offenbar haben sie so schnell keine andere Handkamera auftreiben können, die etwas taugt. Aber bei dem Nebel sieht man die Hand nicht vor den Augen. Die Aufnahmen sind scheiße. Der Irre, der Amok läuft, hätte nicht einmal eine Ahnung, worauf er schießen müsste, wenn er hier draußen wäre.«
»Er müsste einfach nur der Menge folgen und könnte mehr Leute erwischen, als er sich vorgenommen hat«, gab ich zurück.
»Vielleicht geht es ihm gar nicht darum.« Benjamin hob die Kamera und filmte, wie Clemens, die Gitarre auf dem Rücken, zusammen mit Audrey in den Bus einstieg.
»Vielleicht hat er eine Liste«, überlegte Benjamin.
»Hat er nicht«, flüsterte Robert, nahm die Brille herunter und versuchte zum x-ten Mal, die Bügel gerade zu biegen.
Benjamin achtete nicht auf ihn. »Sagt mal, habt ihr Tom heute gesehen?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Ahnung, wo Bens Liebhaber war.
»Seit gestern Abend ist er verschwunden.« Über Benjamins Gesicht lief ein Schatten. »Ist einfach nicht im Bungalow aufgetaucht. Er wollte nach Fields, aber …«
»Wir müssen ins Gebäude zurück«, unterbrach ihn Robert.
Er hatte den Kopf gehoben, aber sein Blick war nach innen gekehrt. Seine ganze Haltung hatte sich verändert, von jetzt auf gleich. Genauso wie vorhin im Untergeschoss drückte er Entschlossenheit aus.
»Zurück ins Gebäude?«
»Julia.«
Robert brauchte gar nicht weiterzusprechen. Ich wusste auch so, was er meinte. Zwischen den beiden Geschwistern war nun mal diese Verbindung, eine Art natürlicher Nähe und Distanz, als würden sie von etwas Unsichtbarem zusammengehalten, das außer ihnen niemand verstehen konnte.
»Seid ihr bescheuert«, fragte Benjamin. »Oder wollt ihr Kanonenfutter spielen?«
Wie eine Welle schwappte plötzlich Panik durch die Menge. Ich verstand Schüsse und es war die Rede von Toten.
Benjamins Gesicht verschwand wieder hinter der Kamera. Vielleicht war das alles leichter zu ertragen, wenn man es durch ein Objektiv betrachtete.
Ich sah, wie die Türen des Busses sich schlossen, der Motor kurz aufheulte und sich wieder beruhigte. Durch die erleuchteten Fenster konnte ich schemenhaft Gesichter erkennen. Erleichterung und Schock zeichnete sich auf ihnen ab. Sie waren in Sicherheit, ja, aber sie würden die Angst nie vergessen. Todesangst – niemand wusste das besser als ich –, grub sich für alle Zeiten ins Gedächtnis.
Robert und ich tauschten einen Blick. Es war keine Frage mehr, es war eine Entscheidung. Wir kehrten um.
Jetzt, als sich die Menge gelichtet hatte, ging es ganz leicht. Ich lief am Bus vorbei Richtung See, wo der Nebel noch dichter war.
Das grelle Licht der Scheinwerfer, die den Nebel als dichtes Gewebe aus unzähligen Wassertropfen sichtbar machten, blendete mich und ich sah den Schneehaufen erst, als es zu spät war. Ich steckte mit beiden Beinen bis zu den Knien fest. Während ich versuchte, mich zu befreien, entging mir das Klingeln meines Handys. Erst beim letzten Ton spürte ich das Vibrieren an meinem Oberschenkel. Ich riss es aus der Tasche. Mit zitternden Händen versuchte ich, das Gespräch anzunehmen.
Gleichzeitig brach das Klingeln ab.
Die Mailbox sprang an.
Wenn es ein Schicksal gab, schlug es in diesem Moment zu.
Wenn es ein Schicksal gab, musste es mich hassen, obwohl es mich am Leben ließ.
Flashback
Ich ahnte, dass er im Raum war, noch bevor die Schrotladung abgefeuert wurde. Aber als das passierte, hatte ich Gewissheit. Irgendwo am anderen Ende des Raums zerbarsten Dinge, etwas zersplitterte, dann ein Treffer über mir, neben mir.
Das Licht schimmerte durch den winzigen Spalt in der Metalltür des Schrankes.
»Ist hier noch jemand?«, schrie wieder diese Stimme, die mir bekannt vorkam.
Wenn er mich entdeckt, wird er mich töten, dachte ich. Er wird mich einfach erschießen, wird gehen und mich hier
Weitere Kostenlose Bücher