Das Erbe - Das Tal - Season 2 ; Bd. 2
welche Reaktionen er im Büro im Erdgeschoss hervorrief.
Tom dagegen schien völlig unbewegt. Er stand seitlich an das Pult gelehnt und hielt die Waffe jetzt auf mich gerichtet. Ich starrte in die Mündung des Revolvers.
»Great Falls«, rüttelte mich seine Stimme auf. »11. März 2009.« Er wandte sich an Nikita. »Sie sollen anrufen«, sagte er, »wenn die Kamera aktiv ist.«
Ich saß Julia genau gegenüber. Ihre Hände umklammerten nach wie vor den schwarzen Kasten. Immer, wenn wir den Blick hoben, sahen wir uns in die Augen. Wortlos versuchte ich, ihr zu vermitteln, dass sie mir vertrauen konnte. Sie würde hier herauskommen. Ich würde alles tun, damit sie das hier überlebte.
Und dann traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz. Ich hatte es immer mal wieder gespürt, hatte gewusst, dass sich etwas falsch anfühlte. Aber ich hatte bis heute gebraucht, um zu begreifen, was es war. Ich hatte nie Julia gesehen, sondern stets nur Vic.
Das war der Grund, weshalb ich ihr nie meine Liebe gestanden hatte. Und sie war nur deshalb von Tom ausgewählt worden, weil jeder glaubte – wie ich –, ich sei wirklich in sie verliebt. Die verwirrenden Linien der Vergangenheit und Gegenwart kreuzten sich. Deshalb saß ich heute hier. Es wurde Zeit, sie zu entwirren. Nur war ich nicht damit einverstanden, dass es auf diese Art und Weise passierte.
Das Handy klingelte.
Tom nahm das Gespräch nicht entgegen. Sein Blick ging hoch zur Kamera. Das rote Licht zeigte an, dass sie aktiviert worden war.
»Showtime«, sagte er. »Zeit für einen Monolog. Ich lese eine Liste von Namen vor und David wird uns erzählen, was mit ihnen passiert ist.«
Flashback
Die Namen begegneten mir Tage und Wochen danach überall. Man las sie auf den Kränzen, die vor dem Schultor niedergelegt wurden, sie standen auf den Stofftieren, sie hingen im Rathaus aus. Man hatte eine eigene Webseite für sie eingerichtet, auf der man sich in das Kondolenzbuch eintragen konnte. Irgendjemand berichtete mir später, man hätte sie in eine Steinplatte gemeißelt, die an der Schule aufgehängt wurde. Jedes Kind in Great Falls würde sie vermutlich noch in zehn Jahren aufsagen können.
Und sie wurden natürlich auf der Gedenkfeier in der St. Ann’s Cathedral verlesen. Die meisten Leute, die bereits am Abend zuvor auf dem Schulgelände ausgeharrt hatten, waren wieder da. Der Bezirksstaatsanwalt brachte eine Liste mit. Er sagte, er würde die Namen aller Toten vorlesen. Während er die Liste verlas, schlugen Mütter und Väter sich die Hände vors Gesicht. Niemand schrie auf. Niemand jammerte laut.
Woher ich das weiß?
Ich war nicht dabei. Natürlich war ich nicht dabei.
Aber alles, was in diesen Tagen passierte, verbreitete sich schneller als ein Computervirus.
Marsha Willeby
Kristan Toshi
Ashton Tyler
Byron Kennedy
Gordon Roy
Justin Abraham
Victoria Banks
Kristan Toshi war das erste Opfer. Er betrat direkt vor Jacob die Schule und ahnte nichts. Jacob ließ ihm Zeit. Ich weiß nicht, ob er da noch schwankte.
Kristan tat, was er jeden Morgen tat. Er holte seine Bücher aus seinem Spind und stellte die Sporttasche hinein. Er war seit gut einem Jahr mit Marsha Willeby zusammen. Sie galten als das Traumpaar der Highschool, die beiden, die in jedem Jahrbuch mehrfach erwähnt wurden. Marsha wollte genau wie ich Medizin studieren. Ihre beiden Eltern waren Ärzte. Es lag bei ihnen in den Genen, hatte sie immer wieder verkündet. Sie gehörte zur vierten Generation von Ärzten und alle hatten sich in Great Falls niedergelassen. Ihr Name wurde stets als Erstes erwähnt, wenn es um die Todesliste ging. Auch wenn sie nicht die Erste war, die von den Schüssen getroffen worden war.
Sie kam nach Jacob und Kristan in die Schule. Ihr Schließfach lag direkt gegenüber von Kristans. Die beiden gingen in unseren Jahrgang, aber ich glaube nicht, dass Jacob sie außerhalb der Schule näher kannte. Sie waren einfach eine Legende und sie traten ihm an diesem Morgen in den Weg. Genauer gesagt um 7:41 Uhr. Die Polizei wusste das durch die Videoaufzeichnungen.
Das ganze Gebäude wurde überwacht. Es gab einen Sicherheitsdienst. Man hatte aus anderen Amokläufen gelernt und konnte es doch nicht verhindern.
Jedenfalls trafen Kristan und Marsha auf dem Flur aufeinander und begrüßten sich wie immer mit einem Kuss. Kein langer, intensiver Kuss. Das gehörte zu den Schulregeln. Rumknutschen war nicht erlaubt. Und Marsha und Kristan hielten sich an die Regeln. Sie hielten sich an
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