Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
Ihr könnt ihn später wieder annähen.«
Er hatte kaum den Satz beendet, als sie seinen Ratschlag auch schon befolgte. Das leinene Unterkleid war alt und ohnehin recht mürbe. Es ging leichter als gedacht, ein kräftiger Ruck, und sie hatte ein passendes Stück in der Hand. Sie wickelte es sich mit geübten Griffen um Stirn und Kopf sowie unter dem Kinn hindurch und schlang im Nacken einen Knoten, mit dem sie auch gleich den Zopf bändigte. Das musste reichen.
»Wo ist unser Ziel?«, fragte der Mann, während er über den weiten Platz blickte.
»Drüben bei der Kornwaage! Ich glaube, ich sehe den Händler schon!«
Es hatte wieder angefangen zu nieseln. Aufgeregt spähte Madlen durch den trüben Dunst, während das Fuhrwerk quer über den großen Platz rollte. Anders als der Alter Markt war der Heumarkt nicht in Budengassen unterteilt, sondern bot eine weite Fläche, vor allem auch wegen der hier regelmäßig stattfindenden Viehmärkte. In der Mitte des Platzes befanden sich nur der Schupstuhl und einige kleine Stände von Marktfrauen, die dort Bücklinge am Stück verkauften.
Madlens Begleiter lenkte den Wagen zur Südseite des Platzes, wo die Heu- und Kornhändler ihren Verkaufsbereich hatten und wo sich auch die große Waage befand. Der Mainzer Händler, an den Madlen das Bier liefern sollte, stand tatsächlich bereits dort vor seinem Fuhrwerk; er hatte sie gesehen und winkte ihr zu.
»Da seid Ihr ja!«, rief er ihr aufgeräumt entgegen.
Madlens Helfer war bereits abgestiegen und um den Wagen herumgegangen. Bevor er Anstalten machen konnte, sie wie ein hilfloses Kind herunterzuheben, sprang sie selbst von der Kutschbank, vergaß aber dabei den Becher, den sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte. Ein großer Teil von dem Bier schwappte auf ihr Gewand, was sie zu einem lautlosen Fluch veranlasste. Doch der ganze Schlamm, der sich bereits in ihren Strümpfen und Rocksäumen festgesetzt hatte, erforderte sowieso eine gründliche Säuberung. Immerhin darum musste sie sich nicht selbst kümmern, das erledigte eine Waschfrau, der sie alle paar Wochen die Schmutzwäsche mitgab.
Der Händler half dem großen Fremden beim Umladen der Fässchen und zählte Madlen dann die vereinbarte Kaufsumme in die Hand. Sie passte auf wie ein Habicht, addierte im Geiste eine Münze zur anderen und rechnete anschließend noch einmal alles im Kopf durch. Wenn man nicht höllisch Acht gab, wurde man leicht übers Ohr gehauen. Manche Händler zählten einem das Geld so flink vor, dass man durcheinanderkam und halbe nicht von ganzen Münzen unterscheiden konnte, ganz zu schweigen von den wertlosen fremdländischen Stücken, die sie einem zuweilen unterjubeln wollten.
»Es war mir ein Vergnügen, bei Euch zu kaufen«, beteuerte der Mainzer ihr. »Hoffentlich können wir das bald wiederholen!« Zufrieden erklomm er sein Fuhrwerk und trieb den Gaul an, worauf der Wagen gemächlich davonrumpelte.
Madlen blickte ihm sorgenvoll nach.
»Seid Ihr nicht zufrieden mit dem Geschäft?«, fragte der Fremde neben ihr.
Sie seufzte. »Doch. Es war ein guter Handel. Aber mein Leben ist derzeit ein wenig … schwierig.«
Er nickte schweigend. Sie nahm etwas von dem Geld und reichte es ihm. »Habt Dank für Eure Hilfe. Ohne Euch hätte ich dumm dagestanden.«
Er betrachtete die Münzen auf seiner breiten, schwieligen Handfläche. »Das ist zu viel.«
Madlen schüttelte den Kopf. »Nehmt es. Ich will es so.«
Der Mann blickte sie nachdenklich an. »Darf ich Euch etwas fragen?«
»Gewiss. Nur zu.«
»Kennt Ihr eine Begine namens Blithildis?«
Madlen war sofort auf der Hut. Unversehens begriff sie, dass er ihr nicht wegen der Belohnung geholfen hatte. Er hatte auch nicht zufällig vor dem Goldenen Fass gestanden, als der Ärger mit dem festgefahrenen Fuhrwerk anfing. Die ganze Zeit war es ihm nur darum gegangen, sie mit seiner hilfsbereiten, freundlichen Bescheidenheit auskunftswillig zu stimmen, damit er ihr diese eine Frage stellen konnte. Und die Antwort darauf war ihm immens wichtig, aus welchen Gründen auch immer.
»Die einzige Blithildis, die ich kenne, ist die Frau des Schlachters vom Neumarkt«, sagte sie, ohne seinen Blicken auszuweichen. »Sie ist über fünfzig und so dick wie ein Schlachtross.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist nicht die Blithildis, die ich meine. Ich bin eigens nach Köln gekommen, um meine Schwester zu suchen. Ich habe sie viele Jahre nicht gesehen, habe aber unlängst gehört, dass sie hier in der
Weitere Kostenlose Bücher