Das Erbe der Braumeisterin - Thomas, C: Erbe der Braumeisterin
einer Weile unter wunden, nässenden Stellen, die nicht zuheilen wollten. Juliana bestrich sie regelmäßig mit einer Kräuterpaste, die sie im Konvent herstellte, und Cuntz schwor, dass ihm die Behandlung half, doch Juliana hatte Madlen anvertraut, dass man nicht viel gegen dieses Leiden ausrichten könne, außer das Bein zu schonen, es warm und sauber zu halten und es regelmäßig frisch zu verbinden. Manchmal, so hatte sie gemeint, heilten solche Wunden irgendwann einfach zu, oft aber auch leider nicht, ganz egal, was man tat. Es lag, wie so vieles im Bereich der Krankheiten, schlicht in Gottes Hand.
Madlen ahnte, dass ihr Großvater sich darüber völlig im Klaren war. Es war ihm verhasst, ihr zur Last zu fallen, und das Letzte, was ihm in den Sinn gekommen wäre, war jammervolles Klagen über sein Befinden, weshalb er die Schmerzen – die er ganz gewiss hatte – mit zäher Gelassenheit erduldete und manchmal sogar Witzchen darüber riss.
Er hatte sich für den Verbandswechsel auf der breiten Bank an der Längswand der Stube ausgestreckt, wo Madlen ihm ein zusätzliches Lager bereitet hatte, damit er nicht den ganzen Tag allein in der winzigen Kammer hinter der Kochstelle verbringen musste. So hatte er wenigstens Gesellschaft, und sei es auch nur die von Irmla, die ständig um ihn herumwuselte und sich nebenher um den Haushalt kümmerte. Die Magd beschwerte sich zwar manchmal bei Madlen, dass der Alte sich absichtlich taub stelle, während er zu anderen Gelegenheiten sehr wohl alles verstand, und es kränkte sie auch, dass er an ihren Kochkünsten herummäkelte, doch trotz ihres mürrischen und manchmal reizbaren Wesens war sie dem Greis auf ihre eigene Art sehr zugetan. Sie brachte ihm sein Schnitzzeug, wenn er danach verlangte, hielt sein Lager sauber, wärmte ihm Ziegelsteine für die Füße und schabte ihm sogar den Bart, bevor es sonntags in die Kirche ging.
Juliana erhob sich von der Bank. »Ich muss los«, sagte sie. »Es wird bald dunkel.« Ihr Blick fiel auf die Wand neben der Stiege. Die Talgleuchte, die auf dem schweren Eichentisch brannte, flackerte ein wenig, als sie daran vorbeiging und vor dem Magdalenenbildnis stehen blieb. Es hing erst seit dem Morgen dort, eine Reliefschnitzerei von Cuntz, an der er wochenlang gearbeitet hatte. Juliana bekreuzigte sich und versank in ein kurzes Gebet.
»Das ist wunderschön geworden«, sagte sie anschließend leise, in scheuer Ehrfurcht mit den Fingerspitzen über das glänzende Holz streichend.
»Du kannst es mitnehmen«, sagte Cuntz, der offenbar jedes ihrer Worte verstanden hatte, obwohl sie ihm den Rücken zuwandte. »Ich habe es für dich gemacht. Einmal hast du zu Madlen gesagt, dass die heilige Maria Magdalena deine liebste Heilige ist, deshalb sollst du das Bildnis haben.«
»Oh, das kann ich nicht annehmen!«, wehrte Juliana errötend ab. »Es ist zu wertvoll!«
»Unfug. Ich kann morgen ein neues machen. Vielleicht tu ich das sogar. Dann haben wir Vorrat, wenn eines entzweigeht.« Er zwinkerte in Madlens Richtung, und diesmal war es an ihr, zu erröten, denn es war niemandem in diesem Haushalt verborgen geblieben, welches Schicksal der unschuldige Bottich erlitten hatte.
Cuntz bestand darauf, dass Juliana die kleine Schnitzerei einsteckte, ihre Dankesworte wies er brummig zurück. Madlen begleitete Juliana auf die Gasse hinaus, wo Irmla mit Julianas Begleitung, einer Magd namens Hildegund, ein Schwätzchen hielt und nur widerwillig an die Arbeit zurückging. Madlen konnte es ihr nicht verdenken: Nicht mehr lange, und es würde in der Schankstube wieder Hochbetrieb herrschen, dann gab es wie immer alle Hände voll zu tun.
Die Aussicht auf die stundenlange Arbeit, die heute noch vor ihr lag, weckte in Madlen den Wunsch, sich in ihr Bett zu verkriechen und die Decke über den Kopf zu ziehen, eine Anwandlung, die sie sonst nicht an sich kannte. Für gewöhnlich machte es ihr nichts aus, bei Sonnenaufgang aufzustehen und sich erst spätabends schlafen zu legen, schon gar nicht im Winter, wenn es später hell wurde. Doch dies schien ein seltsamer Tag zu sein, voller schicksalhafter Wendungen, gespickt mit Sorgen und ahnungsvollen Gedanken. Sie fühlte sich, als müsse sie durch dichten Nebel irren, in Richtung eines Ziels, von dem sie nicht wusste, wo es sich befand.
Sie winkte Juliana zum Abschied, dann ging sie durch den Torbogen auf den Hof und betrat das Sudhaus, wo Caspar, Willi und Berni emsig ihrer Arbeit nachgingen. Berni wendete auf der
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